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Das Grauen in den Bergen

Das Grauen in den Bergen

Titel: Das Grauen in den Bergen
Autoren: Fred Ink
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ziemlich in Mitleidenschaft gezogen und zeichnete nur Bruchstücke auf. Ich weiß noch, wie ich auf die Beine kam und mich übergeben musste. Die Schmerzen, die meinen Schädel umspannten, warfen mich zurück auf die Erde. Irgendwann kam ich erneut hoch und schaffte es sogar, mir das schlaffe Bündel über die Schulter zu werfen. Ich wollte abwärts, den Berg hinab, zu den Bäumen und den Häusern …
    Es ist mir unerklärlich, dass ich mich nicht verlief. Ich kann nur vermuten, dass ein uralter Überlebensinstinkt mich in jenen Minuten leitete. Wie auch immer, das nächste, woran ich mich klar erinnere, ist die Bank in Mrs. Pickmans Haus. Ich bettete den gebrechlichen Körper darauf, fasste mit beiden Händen an meinen Schädel und wollte mir ins Gedächtnis rufen, wie man ein Feuer entfacht.
    Bevor es mir einfiel, sah ich eine Gestalt am Fenster vorbeigehen.
    Meine Rechte schnappte nach dem Schürhaken, ich taumelte ins Freie. Was auch immer der Berg mir hinterhergeschickt hatte, ich würde meine Haut teuer verkaufen!
    Ein ängstlicher junger Mann stand vor mir, fast noch ein Knabe. Sein Gesicht war von Akne gezeichnet, er bewegte sich ungelenk und seine Augen waren geweitet. Als er mich auf sich zutaumeln sah, ließ er vor Schreck die Tasche fallen, die er über der Schulter trug.
    »Wer bist du?«, herrschte ich ihn an. »Und was willst du hier?«
    »Bi … bitte … t-tun S-Sie mir nichts, M-M-Mister!«
    »Wer du bist, will ich wissen!«
    Gottlob fing der Bengel an, zu reden. Ich weiß nicht, was ich in meiner Benommenheit und Erregung sonst getan hätte.
    »I … ich habe einen Eilbrief. E … Express … Zustellung.«
    Sein riesiger Adamsapfel hüpfte auf und ab. »S … sind Sie Mister Usher?«
    Nein , wollte ich brüllen. Ich bin Mister Coldlowe, ein Mann von Adel! Angehöriger einer erlesenen Gemeinschaft und Bewahrer von …
    Ich erinnerte mich an die Zeit vor dem Irrsinn und nickte stumm.
    Der Junge bückte sich nach der Tasche und zog einen Umschlag heraus. »H … hier. Ein Schreiben von einem M … Mister Bl … Blake.«
    Mit zittrigen Fingern griff ich nach dem Schriftstück. Der Bote umklammerte seine Tasche, machte kehrt und entfernte sich so schnellen Schrittes, dass man es gerade noch als »Gehen« bezeichnen konnte.
    Ich betrachtete den Brief. Edward Blake … das Paket mit den Blaupausen hatte ich vollkommen vergessen gehabt. Wann hatte ich es aufgegeben? Ich rechnete nach und stellte erstaunt fest, dass Edward mir nahezu postwendend geantwortet haben musste. Und dann auch noch per Eilzustellung. Was sollte so dringlich sein? Was hatte er in den Zeichnungen gesehen?
    Die Kälte war vergessen, die Schmerzen ausgeblendet. Ich riss den Brief auf und zerrte ihn ans Zwielicht. Das Schreiben war in ungewohnt krakeliger Schrift verfasst, so als habe Edward die Worte in großer Eile hingekritzelt:
     
    ***
    Werter Freund,
     
    vorab möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich auf den folgenden Seiten den gebührenden Umgangston sowie die sonstigen Gepflogenheiten einer schriftlichen Konversation vermissen lassen werde. Doch die Umstände sind derart dringlich und bieten einen solch immensen Anlass zur Bestürzung, dass ich keine Zeit mit vergleichsweise unwichtigen Dingen vergeuden darf.
    Es dreht sich natürlich um das Paket, welches du mir zugesandt hast. Meine Freude darüber, nach längerer Zeit wieder von dir zu hören, wurde schon bald von Grauen verdrängt, als ich den Inhalt der Schachtel genauer in Augenschein nahm. Du weißt ja, dass meine Begabung ein gewisses intuitives Talent umfasst. Ein Talent, das einige meiner Entwürfe so besonders hat werden lassen. Es ist mir möglich, bestimmte Zusammenhänge und Prozesse zu erfassen, ohne sie im Detail verstanden zu haben.
    Als ich deine ungewöhnlichen, skizzenhaften Zeichnungen und Baupläne studierte, meldete sich plötzlich jene Intuition. Mich beschlich ein solches Entsetzen, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Die Blaupausen sind unvollständig und zeigen nur die äußersten Kreise eines riesigen Dinges – ich würde es ein Bauwerk nennen, doch das würde ihm nicht gerecht –, sodass ich hoffe, dass meine Schlussfolgerungen auf falschen Annahmen beruhen. Wer immer die Zeichnungen angefertigt hat, er hat seine Ideen entweder nicht zu Ende gedacht, oder (und ich bete zu Gott, dass dem nicht so ist, denn das würde bedeuten, dass jenes Ding tatsächlich existiert) er hat nie mehr von seinem Studienobjekt zu Gesicht bekommen als jene
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