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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer
Autoren: Iny Lorentz
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gewesen war und seinen Oberst bedroht hatte, so hatte er doch einen Menschen umgebracht. Ihm grauste vor sich selbst, und er wünschte sich, einfach liegen bleiben zu können, bis er tot war. Doch ein Soldat stellte ihn kurzerhand auf die Beine, wies auf das Lager, das gerade errichtet wurde, und sagte etwas, was Walther nicht verstand.
    Fackeln wurden entzündet und Holz fürs Lagerfeuer herbeigeschleppt. Ein paar Soldaten warfen sogar verbogene Musketen in die Flammen, bis ein Unteroffizier energisch einschritt: »Ihr Narren! Was meint ihr, was passiert, wenn eine der Waffen geladen ist? Wollt ihr jetzt noch krepieren, nachdem ihr die Schlacht überlebt habt?«
    Die Worte brachten Walther dazu, auf die Wärme des Feuers zu verzichten und in die Dunkelheit zurückzuweichen. Da vernahm er auf einmal eine Stimme.
    »Kleiner, bist du es?«
    »Reint, du lebst? Was bin ich froh!« Walther eilte in die Richtung, in der er Heurich vermutete, und fand schließlich seinen Freund.
    »Warte, ich hole eine Fackel«, sagte er und wollte zum Feuer laufen.
    »Bleib! Ich habe nicht mehr viel Zeit.« Heurichs Stimme klang matt und fremd. Mit Tränen in den Augen beugte Walther sich über ihn.
    »Sag so etwas nicht. Du wirst gesund werden, ganz gewiss.«
    »Ich weiß, wann ich am Ende bin, Junge. Du kannst mir noch einen Gefallen tun. Frage einen der Offiziere, wie das Dorf heißt, das wir in der Ferne gesehen haben. Ich will wissen, an welchem Ort ich sterbe.«
    Verstört stand Walther auf und sah in der Nähe den Oberst im Schein einer Fackel stehen. Rasch eilte er hin und tat etwas, was er bisher noch nie gewagt hatte: Er sprach Medard von Renitz an.
    »Herr Oberst, mein Freund Reint Heurich würde gerne wissen, wie der Ort heißt, in dessen Nähe wir gekämpft haben.«
    Renitz wechselte einen kurzen Blick mit einem Dragoneroffizier, der als Verbindungsmann beim Regiment geblieben war, und gab dann die Antwort:
    »Waterloo!«

4.
    E in süßlicher Geruch lag über dem Schlachtfeld, vermischt mit kaltem Pulverdampf und dem Gestank nach Schweiß und Exkrementen. Das Lagerfeuer und die Fackeln schafften es kaum, den Dunst zu durchdringen, der vom Boden aufstieg und alles in gespenstisches Grau hüllte. Niemand hätte zu sagen vermocht, wie viele Männer und Pferde hier ihr Ende gefunden hatten. Den Überlebenden des Regiments Renitz gelang es ja nicht einmal, die eigenen Verluste zu erfassen. Noch immer schrien Verwundete um Hilfe.
    Oberst Renitz hatte etliche Soldaten ausgesandt, ihre Kameraden zu suchen. Aber schon bald darauf stapfte einer der Abkommandierten auf ihn zu.
    »Wir kommen fast immer zu spät zu unseren Kameraden, Herr Oberst. Die Plünderer aus dem englischen Lager und die Leute aus der Gegend sind einfach schneller. Sie bringen die Verwundeten um und fleddern die Leichen.«
    Medard von Renitz starrte den Soldaten zunächst nur hilflos an. Auf dem Marsch von Ligny nach Waterloo hatte er kaum mehr zu essen bekommen als seine Männer, und die Sorge um sein Regiment hatte ihn ebenso erschöpft wie das zwar kurze, aber heftige Gefecht. Nun saß er hungrig und müde am Feuer und wünschte sich nur noch, schlafen zu können. Doch er durfte sich nicht der Verantwortung für seine Männer entziehen.
    »Stellt Posten auf und schießt jeden nieder, der plündern will. Der Feldwebel der ersten Kompanie soll das übernehmen«, befahl er mit matter Stimme.
    »Verzeihung, Herr Oberst, aber Wachtmeister Fürnagl wird vermisst«, meldete der Soldat.
    »Dann trag es einem anderen Unteroffizier auf. Sag ihm, du kommst von mir!«
    Für Medard von Renitz war die Sache damit erledigt. Aber der Soldat, der selbst zum Umfallen müde war, musste suchen, bis er einen Unteroffizier fand, der bereit war, die Feldwachen zu bestimmen und zu kontrollieren.
    Der Feldwebel, der die Aufgabe übernahm, wusste genau, dass den entkräfteten Männern schon bald die Augen zufallen würden. Daher mahnte er die von ihm eingeteilten Wachen eindringlich: »Passt auf, dass euch der junge Renitz nicht beim Schlafen erwischt. Der lässt euch sofort am nächsten Baum aufhängen!«
    Im nächsten Moment fluchte er, weil sich jemand in seiner Nähe mit einer Fackel in der Hand über einen Toten beugte. »Verdammte Weiber! Verschwindet, sonst lasse ich euch auspeitschen«, schrie er die beiden Gestalten an.
    Da hielt die Größere die Fackel so, dass er sie erkennen konnte. Es handelte sich um Waltraud Fürnagl, deren Gesicht von Angst und Sorge verzerrt war. »Ich
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