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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer
Autoren: Iny Lorentz
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suche meinen Mann! Er ist nicht bei den anderen Soldaten!«
    »Der Wachtmeister wird vermisst – wie so viele, die mit uns gezogen sind. Sobald es hell wird, können wir ihn suchen«, erklärte der Feldwebel.
    Die Frau schüttelte den Kopf. »So lange will ich nicht warten! Vielleicht ist mein Mann verletzt und braucht Hilfe. Komm, Gisela, wir suchen weiter!« Damit ging sie, die Fackel in der einen und die Tochter an der anderen Hand zum nächsten Toten und leuchtete auch diesem ins Gesicht.
    »Der ist es auch nicht«, murmelte sie und zerrte das Mädchen hinter sich her.
    Gisela starrte in die Nacht hinein, die von Hunderten tanzenden Lichtpunkten erfüllt war. Jeder dieser Lichtpunkte war eine Fackel, in deren Schein jemand das Schlachtfeld absuchte.
    »Schau mal, Mama, die suchen auch nach ihren Verwundeten«, sagte das Kind.
    Die Wachtmeisterin sah sich um und stieß die Luft durch die Zähne. »Nein, mein Kind, das sind Plünderer. Möge die Heilige Jungfrau geben, dass wir deinen Vater finden, bevor es einer von denen tut.«
    Mit diesen Worten ging Walburga Fürnagl weiter und leuchtete den nächsten Toten an. Zu ihrer Enttäuschung war es ein Franzose. Als sie an ihm vorbeigehen wollte, verlegte ihr ein totes Pferd den Weg, das die Beine grotesk verdreht in die Höhe streckte. Direkt daneben lag ein Mann, der durch ein Schrapnell förmlich in Stücke gerissen worden war. Sie schob ihre Tochter zurück, um ihr diesen Anblick zu ersparen.
    »Komm weiter!«, befahl sie ihr und ging in die andere Richtung.
    Gisela klopfte das Herz in der Kehle, und Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie betete, wie sie noch nie zuvor gebetet hatte, dass sie ihren Vater lebend finden würden.
    Nach einer Weile bemerkte Walburga, dass um sie herum nur noch tote und verwundete Soldaten in französischen und englischen Uniformen lagen. Ein junger Bursche, dessen Bein von mehreren Musketenkugeln durchlöchert war, streckte ihr verzweifelt die Hand entgegen.
    »Help me! I’m thirsty!«
    Obwohl weder die Frau noch das Mädchen Englisch verstanden, erahnten sie den Sinn der Worte. Gisela verspürte Mitleid und überlegte, was sie für den Verwundeten tun konnte. Walburga Fürnagl dachte jedoch nur an ihren Mann und schob das Kind vor sich her.
    »Aber Mama, der Mann ist verletzt«, protestierte Gisela.
    »Wir haben keine Zeit, uns um andere zu kümmern«, herrschte die Mutter sie an. Da hier keine Toten ihres Regiments mehr lagen, schlug sie eine andere Richtung ein, dabei fiel ihr auf, wie sich mehrere Fackeln näherten.
    »Beeile dich, Kind!« Am liebsten hätte Walburga Fürnagl Gisela losgelassen, um schneller vorwärtszukommen, doch angesichts der Plünderer, die immer mehr zu werden schienen, wagte sie es nicht.
    Endlich sah sie wieder einen Mann im grauen Rock der Renitzschen Musketiere vor sich liegen. Sie kannte ihn und hatte ihm schon so manche Flasche Wein und andere Dinge verkauft. Nun hatte der schwarze Schnitter ihn geholt.
    »Heilige Muttergottes, bitte für uns arme Sünder«, murmelte sie und richtete ihre Fackel auf den nächsten Leichnam. Seinen Abzeichen nach hatte er zur ersten Kompanie gehört. Damit konnte ihr Mann nicht mehr weit sein.
    »Ich glaube, gleich finden wir ihn«, sagte sie zu Gisela. Diese sah sich um und wies auf den Lichtschein einer Fackel, die ein Mann keine zehn Schritte von ihnen entfernt in der Linken hielt, während er mit der anderen Hand einen Toten abfingerte.
    »Schau, Mama!«
    Während Gisela nur auf den Plünderer hinweisen wollte, erkannte Walburga die bayrische Uniform und stieß einen Schrei aus. »Lässt du meinen Mann in Ruhe!«
    Der Plünderer drehte sich zu ihr um und sagte etwas auf Englisch.
    Nun ließ die Wachtmeisterin ihre Tochter los und eilte auf den Gefallenen zu. Im Schein ihrer Fackel sah sie ihren Mann so starr liegen, dass kein Zweifel mehr blieb. Wachtmeister Josef Fürnagl, der mehr als zwanzig Jahre alle Schlachten durchgestanden hatte, ohne sich mehr als eine Schramme zuzuziehen, war tot.
    Walburgas haltloser Zorn richtete sich gegen den dürren Engländer, der sich von der Plünderung der Leiche ihres Mannes nicht weiter ablenken ließ.
    »Lass ihn in Ruhe, sage ich dir!«
    Der Ausdruck, mit dem er antwortete, hörte sich nicht gerade vornehm an, und er machte ungerührt weiter.
    Gisela sah, wie ihre Mutter den Kerl am Ärmel packte und wegzerren wollte. Zuerst versetzte er ihr eine Ohrfeige, doch Walburga gab nicht nach. Bevor das Mädchen begriff, was
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