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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer
Autoren: Iny Lorentz
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Welt.«
    Während der Fähnrich davonpreschte, spie Reint Heurich aus. »Würde mich freuen, wenn das feine Herrchen unterwegs auf ein paar französische Dragoner oder Ulanen treffen würde.«
    Walther musterte ihn erstaunt. »Du wünschst einem anderen Menschen den Tod, nur weil er dich einmal geschlagen hat?«
    »Ein Mal?«, antwortete Heurich mit einem bitteren Auflachen. »Das erste Mal hat er mich geschlagen, da war er kaum älter als du und gerade als Fähnrich zum Regiment gestoßen. Ich bin damals nicht schnell genug aufgestanden, als er vorbeikam. Beinahe jeder Soldat unseres Regiments hat mit dem jungen Renitz ein Hühnchen zu rupfen – bis auf die größten Arschkriecher halt, aber selbst die mögen ihn nicht.«
    »Magst du überhaupt einen Offizier?«, fragte Walther.
    »Ich mochte einen – unseren Hauptmann damals in Russland. Der hat sich für uns eingesetzt und ist oft genug vom Oberst deswegen zusammengestaucht worden. Leider ist er beim Übergang über die Beresina ertrunken. Schade um ihn! Er war ein Pfundskerl und hat uns trotz seiner adeligen Herkunft wie Menschen behandelt. Für den jungen Renitz und die meisten anderen Offiziere sind wir dressierte Affen und zu nichts anderem nütze, als in die Salven der Franzosen hineinzulaufen. Ich sage dir, wenn Fähnrich Renitz auf keine anderen Regimenter trifft, stehen wir allein einer halben Armee gegenüber. Was die mit uns machen, brauche ich dir nicht zu sagen.«
    Walther hatte Reint Heurich noch nie so mutlos erlebt. Allerdings waren seine eigenen Erfahrungen im Krieg zu gering, um zu wissen, ob sein großer Freund die Lage richtig einschätzte. Er hatte vor zwei Tagen an seiner ersten Schlacht teilgenommen, und da war das eigene Regiment nicht bis ins Zentrum der Kämpfe vorgerückt, sondern hatte sich fast eine Meile entfernt mit Marschall Grouchys Bataillonen herumgeschlagen.
    »Es wird schon gutgehen«, sagte er mit dem Optimismus der Jugend.
    »Das wird es«, antwortete Heurich, ohne es zu glauben. Dafür war der Lärm der Schlachten zu laut, und er konnte bereits die Signalhörner der französischen Kavallerie hören.

3.
    E ine Schlacht mochte schlimm sein, dachte Walther, doch noch schlimmer war das Warten darauf. Um nicht weiter an die Franzosen denken zu müssen, richtete er seine Gedanken auf Gisela, die zusammen mit ihrer Mutter und den anderen Frauen am Waldsaum kauerte. Welche Angst musste das arme Mädchen erleiden?
    Giselas Vater Josef Fürnagl stand groß und scheinbar unerschütterlich bei der ersten Kompanie, die vom Oberst selbst in die Schlacht geführt werden würde. Während Fürnagls Weib und seine Tochter rabenschwarzes Haar hatten, war er blond. Auch trug er immer noch den blauen Uniformrock, die rote Weste und den Raupenhelm seines alten bayerischen Regiments anstelle des schlichten grauen Rocks der Renitzschen Musketiere, in dem Walther, Heurich und die meisten anderen Soldaten des Regiments steckten.
    Vielleicht war das der Grund, warum Reint ihn nicht mochte, überlegte der Trommelbub. Theologische Spitzfindigkeiten lagen ihm noch fern, und im Grunde wusste er nicht mehr, als dass die Lutheraner, zu denen er selbst zählte, im Gegensatz zu den Katholiken keinen Papst hatten. Konfirmiert war er noch nicht, denn der Regimentsgeistliche kümmerte sich mehr um die Wein- und Schnapsvorräte des Regiments als um die Seelen seiner Schutzbefohlenen.
    Selbst in dieser Stunde, in der er den Mut und den Kampfeswillen der Soldaten mit einer Ansprache hätte heben sollen, ratterte er nur ein paar salbungsvolle Worte herunter und wankte wieder nach hinten. Da es keinen Tross gab, gesellte er sich zu den Marketenderinnen und beschwerte sich lautstark, weil diese ihm nichts zu trinken geben konnten.
    »Gleich geht’s los!« Reint Heurich strich über seine Muskete und versuchte zu grinsen. »Beten wir, dass vor uns nicht mehr Franzosen stehen, als wir selbst zählen. Ein paar weniger wären mir noch lieber.«
    »Mir auch!«, rief ein anderer Soldat, während Walther seinen Freund erstaunt ansah.
    »Woher weißt du, dass es gleich losgeht?«
    »Nach dem jungen Renitz und den Leutnants ist auch Hauptmann Ramp zurückgekommen, und der hatte es sehr eilig. Das heißt, es gibt Befehle«, erklärte Heurich.
    Da Walther zu den Frauen hinübergeschaut hatte, war ihm das Auftauchen der Offiziere entgangen. Aber er fragte nicht weiter danach, sondern interessierte sich für etwas anderes. »Wir hören doch die ganze Zeit, dass geschossen wird,
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