Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
wenn wir den Rückmarsch anträten. Vielleicht schließt der König Frieden mit Bonaparte, so dass wir nicht noch einmal unsere Knochen ins Feld tragen müssen.«
    Walther hörte Heurich nur mit halbem Ohr zu, denn er vernahm nicht nur das Donnern der Kanonen, sondern auch einen anderen Ton, der zwar leiser war, aber giftiger klang. »Jetzt schießen sie ihre Musketen ab. Wie weit mögen sie von uns entfernt sein?«
    »Zwei Stunden Marsch auf trockener Straße, schätze ich, und mindestens fünf auf diesem Schlammpfad. Wir sollten nicht zu schnell gehen, sonst geraten wir noch vor Anbruch der Nacht an die Franzosen. Weißt du, Junge, ich bin seit 1792 dabei, und mir ist mehr Blei um die Ohren geflogen, als ein Regiment in einem Jahr abfeuern kann. Meist haben wir Keile gekriegt, und die schlimmsten sogar, als wir mit Bonaparte verbündet waren und nach Russland gezogen sind. Tut mir leid, ich wollte nicht davon anfangen«, setzte Heurich hinzu, als er sah, dass Tränen aus den Augen des Jungen liefen.
    »Ist schon gut«, antwortete Walther gepresst.
    »Damals hat sogar der Korse merken müssen, dass er nicht die ganze Welt erobern kann. Schade, dass dein Vater dort hat dran glauben müssen. War ein prima Kerl, auch wenn er zu den Unteroffizieren zählte!«
    »Ich habe meinen Vater nicht richtig kennengelernt.« Walther versuchte, sich an den hochgewachsenen, hageren Ehemann seiner Mutter zu erinnern, den er nur vier- oder fünfmal in seinem Leben für ein paar Tage oder Wochen gesehen hatte. Wahrscheinlich, dachte er, wäre sein Vater gerne länger bei ihnen geblieben, doch der Krieg war unerbittlich und riss jeden mit sich. Nachdem die Mutter aus Gram über den Tod des Vaters gestorben war, hatte Graf Renitz’ Verwalter ihn als Trommelbub zum Regiment geschickt.
    Während ihres Gesprächs hatten sie zu den vor ihnen haltenden Soldaten aufgeschlossen und blieben ebenfalls stehen. Alle horchten auf den rollenden Klang des Gewitters aus Pulver und Eisen, das mit einem Mal erschütternd nah zu sein schien, und auf etlichen Gesichtern zeichnete sich Angst ab. Die Männer hatten nicht vergessen, dass Grouchys Soldaten vor zwei Tagen ihre Reihen zurückgeworfen und schließlich durchstoßen hatten. Andere wirkten eher trotzig, als wollten sie es an diesem Tag den Franzosen heimzahlen.
    Nicht weit von Walther und Heurich entfernt beriet sich der Regimentskommandeur Oberst Graf Renitz mit seinen Offizieren und schickte schließlich zwei Leutnants auf Pferden los, um die Lage vor ihnen zu erkunden.
    »Wie’s aussieht, haben wir erst einmal Ruhe«, erklärte Reint Heurich zufrieden. »Würden wir nun auch noch ein trockenes Plätzchen für uns finden, wäre es noch besser. Aber die Äcker und Wiesen hier sind ebenso grundlos wie die Straße, nachdem ganze Armeen durchgezogen sind.«
    »Vielleicht ist es im Wald dort drüben trockener«, sagte Walther und wollte in die Richtung gehen.
    Doch Heurich hielt ihn zurück. »Tu das nicht, Junge, sonst denken die Feldwebel, du willst ausrücken, und das nehmen sie arg übel. Ich habe erlebt, wie sie einen Kerl aufgehängt haben, nur weil er ein paar Schritte in den Wald hineingegangen ist, um in Ruhe scheißen zu können.«
    »Wirklich?« Walther wusste nicht so recht, ob er seinem großen Freund glauben sollte. Gelegentlich gab Reint Heurich phantastische Geschichten zum Besten, die ihm ganz und gar unmöglich erschienen. Allerdings war er nun schon seit einigen Monaten beim Militär und hatte gelernt, dass hier wahrlich andere Regeln und Gesetze herrschten als im normalen Leben.
    »Und ob es so war!« Heurich klopfte Walther auf die Schulter, verzog dann aber das Gesicht, als sich weiter vorne der junge Renitz, der als Fähnrich im Regiment diente, aus einer Gruppe von Offizieren löste, sein Pferd bestieg und auf sie zukam.
    Dabei ritt der Sohn des Obersts so nahe an den Soldaten vorbei, dass diese von dem Schlamm bespritzt wurden, den die Hufe seines Pferdes hochwarfen. Walther bekam einen dicken Batzen Dreck ins Gesicht und wischte ihn mit dem Ärmel ab. Gisela und ihrer Mutter erging es noch schlechter, denn der Fähnrich lenkte seinen Gaul so, dass dieser die beiden Frauen streifte und in den Dreck warf.
    »Was wollen die Weiber hier?«, fragte der junge Renitz dabei verärgert. »Die sollten doch beim Tross sein.«
    Walburga Fürnagl kämpfte sich wieder auf die Beine und musterte den Fähnrich mit blitzenden Augen. »Könnt Ihr uns sagen, wo sich der Tross befindet? Seit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher