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Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)

Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Gerit Bertram
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einem feuerroten Hemd und einer Hose, deren eine Seite gelb leuchtete, während die andere in glänzendem Blau schimmerte. Der Narr lenkte seine Schritte zu den Tuchhallen hin, die den Platz in zwei Hälften teilten. Auf seinen schlohweißen, zu einem kurzen Zopf geflochtenen Haaren saß eine Mütze. An den herunterhängenden Spitzen hingen kleine Schellen, ebenso wie an den spitz zulaufenden Bundschuhen. Bei jedem Schritt des kostümierten und weiß geschminkten Mannes klingelten sie leise und lenkten die Blicke einer rasch wachsenden Zahl von Marktbesuchernauf die vielen bereits vertraute Gestalt.
    Es war Victorius, der Gaukler, wie er sich nannte, wenn er in das Narrenkostüm schlüpfte und sich das Gesicht mit Bleiweiß hellfärbte. Nur wenige Krakower kannten seinen wirklichen Namen, Piet Kerklich. Erst recht wusste niemand, woher der komische Kerl gekommen war. Plötzlich war er im letzten Jahr da gewesen, unterhielt die Leute seitdem fast täglich mit seinen lustigen, oft respektlosen Liedern und führte kleine Kunststücke vor. Doch nicht nur auf dem Rynek, so hieß es, trete er auf, sondern von Zeit zu Zeit sogar auf der Burganlage des Königs, dem Wawel.
    Piet Kerklich wartete, bis sich eine kleine Traube von Zuschauern um ihn gebildet hatte. Dann ging er auf eine junge Frau zu, streckte die Hand aus und tat, als ob er unter ihre Haube griff.
    »Was haben wir denn da?«, rief er aus. »Ihr werdet doch nicht etwa …«
    In seiner geöffneten Hand lag ein braunes Hühnerei. Die Frau riss die Augen auf und starrte mit offenem Mund auf das Ei, zu dem sich kaum zwei Lidschläge später ein weiteres gesellte.
    »Ihr habt doch nicht etwa den Bauern dort hinten bestohlen?«, sagte Piet in gespielter Entrüstung und wies mit dem Daumen auf einen Stand, an dem ein beleibter Mann Hühner und anderes Federvieh feilbot.
    Die Leute folgten staunendseiner Handbewegung, und schon hatte der Gaukler ein drittes Ei zutage gefördert.
    »Ts, ts«, machte er und schüttelte den Kopf. »Aller guten Dinge sind drei, was?«
    Die Leute lachten, einige hatten diesen Trick bereits gesehen. Viele kannten die Frau und wussten, sie war keine Diebin. Doch weil sie inzwischen feuerrot angelaufen war, ergriff Piet schnell ihre Hand und verbeugte sich, wobei die Glöckchen an seiner Mütze fröhlich klingelten.
    »Nehmt es mir nicht übel, dass ich Euch als Opfer meines kleinen Taschenspielertricks ausgewählt habe«, bat er mit einem Lächeln, das in seinen hellblauen Augen ein Strahlen hinterließ. »Bitte behaltet zum Dank die Eier.«
    Die Frau nickte unsicher und trat zurück.
    Einen Moment lang musste Piet daran denken, wie er einen ähnlichen Zaubertrick bei seiner Zwillingsschwester Cristin vorgeführt hatte. Damals im fernen Lübeck, als er sie endlich nach langer Suche auf dem Marktplatz bei einer Gauklertruppe wiedergefunden hatte. Ein Loblied auf Irmela, die schöne Seiltänzerin, hatte er gesungen, eine junge Frau, die ebenfalls zu der Gruppe gehörte. Als er nach Cristins Hand gegriffen hatte, um sie an seine Lippen zu führen, war es wie ein Ruck durch seinen Körper gegangen. Sie hatte ihm später erzählt, sie habe ganz ähnlich empfunden.
    Er lächelte. Die Frauen, die ihm am meisten bedeuteten, hatte er stets auf Marktplätzen getroffen – zuerst seine Zwillingsschwester Cristin und dann hier auf dem Rynek seine geliebte Marianka.
    Das erste Mal waren sie einander begegnet, als er nur wenige Schritte von dem Portal der Marienkirche entfernt seine Späße getrieben hatte, bis ein Priester ihn aufforderte, seine Narreteien anderswo zu treiben. Ein paar Tage später fiel ihm die junge Frau mit den weizenblonden, zu einem dicken Zopf geflochtenen Haaren, erneut unter den Zuschauern auf. Piet wusste kaum, wie ihm geschah. Immer wenn er in den nächsten Tagen das hübsche Mädchen inmitten der Menge entdeckte, schlug ihm das Herz heftig gegen die Rippen. Nie zuvorhatte ein Mädchen seine Gefühle derartig durcheinandergebracht wie Marianka. Mit großen Augen verfolgte sie, was »der komische Kerl«, wie ihr Vater Konstanty ihn zwei Wochen später bei seinem Antrittsbesuch in Mariankas Elternhaus nannte, da für seltsame Sachen aufführte. Konstanty und seine Frau Grazyna waren nicht ebenbegeistert, als Marianka ihn immer öfter mit nach Hause brachte. Einmal hörte Piet, ohne es zu wollen, mit an, wie Marianka und ihr Vater in der Werkstatt miteinander sprachen.
    »Er hat nichts, und er ist nichts. Was willst du mit diesem
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