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Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Titel: Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen
Autoren: Aimée Carter
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bevor ich ihn wiedersehen konnte, vorwärts. Dies war jetzt mein Zuhause, und nichts würde mich für immer davon fernhalten können.
    Als ich oben auf dem sanften Hügel angekommen war, der jeden Blick auf Eden Manor für die Außenwelt verdeckte, drehte ich mich um und winkte. Erstaunt sah ich, dass nur noch Henry dort stand. Er hob die Hand und erwiderte meinen Gruß, und ich zwang mich weiterzugehen.
    Jetzt kam das Tor in Sicht, und mir bot sich ein Anblick, der mich abrupt stehen bleiben ließ. Plötzlich verstand ich mit aller Klarheit, warum Henry so eisern daran festgehalten hatte, mich zu erinnern, dass ich in meinen Sommern tun konnte, was ich wollte.
    James lehnte an demselben Auto, mit dem er mich nach Eden Manor gefahren hatte, und um seinen Hals hingen dieselben riesigenKopfhörer wie im vergangenen September. Der einzige Unterschied war, dass er nicht mehr lächelte.
    Ich schlüpfte durch das Tor und blieb unsicher stehen, wusste nicht, was ich sagen sollte. Wortlos ging er um das Auto herum und öffnete mir die Beifahrertür. Ich dankte ihm, doch er erwiderte nichts. Erst als wir schon ein Stück weit über den Schotterweg gefahren waren, fand ich den Mut, den Mund aufzumachen.
    „Es tut mir leid.“ Meine Hände waren so ineinander verkrampft, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Das alles.“
    „Das muss es nicht.“ Er bog ab, und die Hecke verschwand aus unserem Blickfeld. „Du hast getan, was du tun musstest, genau wie Henry. Und der Rat. Ich hab sowieso gleich gewusst, dass meine Chancen gering waren, als ich dich kennengelernt hab.“
    Verlegen presste ich die Lippen aufeinander und wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Ich war mir sicher, er hatte es als Kompliment gemeint, doch das machte die Schuldgefühle nicht geringer, die unaufhörlich an mir nagten.
    „Du wirst noch für lange Zeit existieren, oder? Ich meine, die Welt wird ja nicht morgen zugrunde gehen.“
    „Ich weiß nicht“, gab James zurück, und einen Moment lang hörte ich den Jungen heraus, der gern Kunstwerke aus Pommes frites baute. „Mit Calliope auf freiem Fuß ist alles möglich.“
    Etwas beruhigt lehnte ich mich in meinem Sitz zurück und entspannte mich langsam. Immerhin schien noch etwas von dem alten James da zu sein.
    „Wohin fahren wir?“
    „An einen Ort, von dem ich denke, dass du ihn sehen solltest, bevor wir für den Sommer verschwinden“, entgegnete er rätsel-haft. Als offensichtlich wurde, dass er mir nichts Näheres dazu sagen würde, gab ich mich resigniert damit zufrieden, aus dem Fenster zu blicken. Und dabei nach irgendeinem Gesprächs-thema zu suchen, das nicht so schmerzhaft wäre.
    Henry hatte die Wahrheit gesagt. Was damals die Main Street von Eden gewesen war, lag jetzt als eine von wenigen kümmerlichenBäumen gesäumte Schotterpiste vor uns. Der Ort, an dem die Highschool gestanden hatte, war nichts als eine Wiese. Auch wenn ich nur wenige Wochen hier gewesen war, spürte ich einen kleinen Stich, als wir vorüberfuhren. Es gab kein Zurück mehr, nicht zu dem Leben, das ich als Sterbliche gekannt hatte. Auf diesen Verlust war ich nicht vorbereitet gewesen.
    Als wir unser Ziel erreichten, hatte die Zivilisation uns wieder. Es war nicht New York City, aber auch keine Ansammlung von staubigen Wegen und Bäumen. Mehrere kleine Häuser standen beieinander und bildeten eine Stadt nahe dem Krankenhaus, in dem meine Mutter gelegen hatte. Ich sah mich um, auf der Suche nach etwas Vertrautem, doch es gab nur kleine Fabriken und Kirchen und Lebensmittelläden.
    James fuhr durch ein breites schmiedeeisernes Tor, und meine Augen weiteten sich, als ich begriff, wo wir waren. Ich hörte den Schotter unter den Reifen knirschen, und langsam ließ er den Wagen den Weg entlangrollen. Nach einer Viertelmeile hielt er an.
    „Komm“, forderte er mich auf und öffnete die Tür. „Ich will dir was zeigen.“
    Ich stieg aus und blickte mich auf dem Friedhof um, auf dem wir uns befanden. Grabsteine und marmorne Figuren ragten aus dem noch winterbraunen Gras hervor. Manche waren neuer, die Namen klar und lesbar. Doch andere, an denen wir vorbeikamen, waren so alt und verblichen, dass ich manchmal gar keine Inschrift entdecken konnte. James hielt Abstand, die Hände tief in den Taschen vergraben, als hätte er Angst, mich zu berühren. Ich hing ein paar Schritte hinterher, wich umständlich Matsch und Schnee aus.
    Vor einem frischen Grab blieb er stehen. Es war so neu, dass es noch nicht einmal einen
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