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Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Titel: Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen
Autoren: Aimée Carter
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Grabstein hatte. Nur ein provisorisches Schild, auf das mit schwarzem Stift ein Name geschrieben stand. James trat zur Seite, sodass ich es sehen konnte, doch das war gar nicht notwendig. Ich wusste genau, wo wir waren.
    „Diana Winters“, las ich leise vor, während ich mit zitternden Fingern über die Buchstaben strich, die ihren Namen bildeten.„Aber ich dachte, sie wäre …“
    „Am Leben?“, half mir James, und ich nickte. „Als Göttin, ja. Aber um dich großzuziehen, hat sie eine sterbliche Form angenommen, und ihre sterbliche Hülle ist vor zehn Tagen dahingeschieden.“
    Ich blieb stumm und fragte mich, was er darauf für eine Antwort von mir erwartete.
    „Sie ist immer noch deine Mutter“, erklärte er. „Aber du musst verstehen, dass es von jetzt an zwischen euch nicht mehr dasselbe sein wird. Genauso wenig, wie die Dinge zwischen Henry und dir oder dem Rat und dir dieselben sein werden.“
    Bei diesen Worten fuhr ich meine Stacheln aus.
    „Genauso wie auch zwischen dir und mir alles anders ist?“, fragte ich herausfordernd, doch statt auch nur das geringste Anzeichen von Zorn oder Frustration zu zeigen, zuckte James mit den Schultern.
    „Nicht ganz, denn den beiden bist du näher, aber ja. So ungefähr.“
    Ich ging neben dem Schild in die Hocke und fuhr gedankenverloren mit den Fingern darüber, während ich auf den Erdhügel starrte, unter dem die menschlichen Überreste meiner Mutter ruhten. Ich war mir nicht sicher, was ich fühlen sollte – Trauer war unvermeidlich, aber da waren noch viele andere Emotionen, die ich nicht vollständig verstand. Vielleicht Erleichterung, dass ihr Kampf vorüber war. Angst vor dieser neuen Realität, der ich nun gegenüberstand, und vor den Wahrheiten, die ich erfahren hatte, während sie in ihrem Krankenhausbett dahingesiecht war.
    Doch am stärksten spürte ich einen ausgehöhlten Schmerz in meinem Inneren, und es dauerte einige Sekunden, bis ich begriff, dass ich unser Leben vor Eden vermisste. Nicht die Jahre der Krankheit und Schmerzen, sondern die Ausflüge in den Central Park. Die Weihnachtsbäume. Die Tage, in denen ich gewusst hatte, dass meine beste Freundin gleich am anderen Ende des kurzen Flurs auf mich wartete. Jene Tage waren nun vorüber, und vor mir erstreckte sich ein neues Dasein, unbeschrieben bis aufdie Gesichter von Henry, meiner Mutter und dem Rest des Rats.
    „Ich weiß, dass dies das Ende ist“, sagte ich und legte eine Hand auf den kleinen Erdhügel. „Das weiß ich schon seit langer Zeit.“
    „Nein, das ist es nicht. Im Gegenteil“, widersprach James und trat neben mich. „Es ist der Anfang.“
    Wir blieben, bis die Kälte meine Glieder erfasste und der Nebel meine Haare feucht machte. Frierend und klamm ergriff ich seine Hand, als er mir aufhalf, und ein letztes Mal berührte ich das Schild – Beweis meiner Menschlichkeit und meines kurzen Daseins in einer Welt, in der alle Dinge starben. Schließlich riss ich mich schweren Herzens los.
    „Also, was hast du diesen Sommer vor?“, fragte James, als wir zum Auto zurückgingen. Auch wenn es ein offensichtlicher Versuch war, die Stimmung aufzulockern, brauchte ich einige Minuten für meine Antwort. Mein Kopf war immer noch zu voll mit Gedanken über meine Mutter. Ich fühlte mich, als zerrte mich eine unsichtbare Macht zurück zu ihrem Grab, doch mit jedem Schritt, den ich tat, fiel es mir etwas leichter, ihre letzte Ruhestätte zu verlassen. Es würde niemals ganz verschwinden, das wusste ich, aber wenigstens war ich mir sicher, dass ich es eines Tages würde akzeptieren können.
    „Ich weiß nicht“, erwiderte ich schließlich und betrachtete den matschigen Boden, während ich die Möglichkeiten durchspielte, die sich vor mir ausbreiteten. Ich könnte zurück nach New York gehen, doch dort wartete nichts auf mich. Ich könnte in Eden bei den Bäumen bleiben, aber das würde vermutlich nach dem ersten Monat ziemlich langweilig werden. „Vielleicht probier ich mal echtes griechisches Essen. Ich war noch nie in Griechenland.“
    „Griechenland“, wiederholte James, und aus seiner Stimme klang eine Leere, die an mir nagte. „Ist schön da im Sommer.“
    Zaghaft streckte ich den Arm aus und hakte mich bei ihm unter. Er wich nicht zurück.
    „Willst du mitkommen?“
    Erstaunt sah er mich an. „Im Ernst?“
    „Na klar.“ Mein Grinsen verlangte mir einiges ab, aber deshalbwar es nicht weniger ehrlich. „Ich will nicht allein nach Griechenland fliegen, und ich kann
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