Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glücksbüro

Das Glücksbüro

Titel: Das Glücksbüro
Autoren: Andreas Izquierdo
Vom Netzwerk:
gemalt hatte. Einen Moment zögerte er, dann trat er vor das Bild und musste lachen: Sie hatte es tatsächlich mit einem Tuch abgehängt! Traute ihm wohl nicht so ganz über den Weg. Sollte er wirklich einen Blick riskieren? Auch wenn es noch nicht ganz fertig war? Anna würde sicher sauer sein, aber schließlich überwog die Neugier. Er packte das Tuch und zog es mit einem Ruck weg.
    Sie hatte alles geändert.
    Ihren Stil. Die Wahl der Farben. Die Schwünge. Die Linien. Alles. Sie hatte ihn so gemalt, wie sie ihn sah, und das erschütterte Albert bis in die letzte Faser seines Seins, denn er starrte auf das Bild und dachte: Das kann doch nicht sein!
    Er erkannte sich.
    Er erkannte sie.
    Verschlungen.
    Sie schwebten zur Musik im Foyer des Amtes. Er war niemals glücklicher gewesen als in jenem Moment, und sie hatte ihn festgehalten. Als sie die besten Tänzer der Welt gewesen waren und das Parkett unter ihren Füßen kaum noch berührt hatten. Als sie auf dem Kamm einer Welle geritten waren und die Schwerkraft überwunden hatten. Als sie dem Orchester davongeflogen waren, als eine Kristallkugel tausend Sterne geboren hatte und es hinter tausend Sternen keine Welt mehr gegeben hatte, nur noch sie beide.
    Sie hatte das alles gemalt, obwohl sie nicht dabei gewesen war.
    Albert fuhr mit den Fingerspitzen über das Bild und weinte vor lauter Glück. Das war Magie. Das war mehr als Magie. Sie hatte ihn gemalt. Nicht nur das, was er getan, sondern auch das, was er gefühlt hatte. Nicht nur diesen einen Moment, sondern sein ganzes Leben. Das, was war, und das, was sein würde. Einfach alles. Sie hatte alles in einem Bild eingefangen.
    Die Knie wurden ihm weich, seine ganze Kraft schien über die Fingerspitzen in das Bild zu fließen, brachten es zum Leuchten. Er wankte zurück und legte sich hin.
    Nur einen Moment ausruhen.
    Sie würde gleich zurückkommen, und dann würde er ihr sagen, wie sehr ihn das Bild berührt hatte. Er würde sie fragen, wie sie auf die Idee gekommen war, und er würde ihr sagen, dass alles, was sie gemalt hatte, wahr war.
    Er schloss die Augen, und da war wieder die Musik.
    Sie spielte für ihn, er spürte, wie er über das Parkett wirbelte, wie er kaum noch den Boden berührte. Dann hob er ab, so wie er es schon einmal getan hatte, wirbelte hinauf, ließ alles zurück.
    Die Musik wurde leiser.
    Leiser.
    Immer leiser.
    Er atmete aus und flog davon.

66.
    Als Anna ihn fand, war es, als fiele sie aus großer Höhe auf einen harten Betonboden. Sie sah für einen Augenblick ein Bild von sich selbst, zerbrochen wie eine Vase, ihren Körper in Scherben. Es war niemals genügend Zeit, um sich von einem geliebten Menschen verabschieden zu können. Insgeheim hoffte man, der Moment würde niemals kommen, aber er kam, und das war schlimmer als alles, was man sich ausgemalt hatte.
    Stundenlang hatte sie anschließend in der Krankenhauskantine gesessen und darüber nachgedacht, ob sie Albert all das gesagt hatte, was sie ihm hatte sagen wollen. Hatte sich Vorwürfe gemacht, dass sie nicht bei ihm gewesen war, als es zu Ende ging. Er hatte sicher Angst gehabt, und sie hatte ihn nicht trösten können.
    Susanne nahm ihr die Formalitäten ab, bestellte den Bestatter und regelte die Überführung nach Holland. Nach deutschen Gesetzen war es nicht erlaubt, eine Urne mitzunehmen, sodass Susanne dafür sorgte, dass er in Holland verbrannt wurde. Ob Albert einen Weg gefunden hätte, die strengen Gesetze in Deutschland per Antrag zu umgehen? Hätte er die Verwaltungen so mit sich selbst beschäftigen können, dass sie ihm schlussendlich eine Ausnahmeregelung gewährt hätten? Vielleicht. So jedenfalls würden sie doch noch zusammen einziehen in ihr Haus am Meer. Und er würde immer bei ihr sein.
    Als sie ins Krankenzimmer zurückkehrte, um ihre Malutensilien und das Bild zu holen, hatten sie Alberts Bett schon geräumt.
    Es wirkte so herzlos.
    Sie fuhr zurück nach Hause.
    Alles war so still, so leer, weshalb sie begann, ihre Sachen zu packen. Sie wollte hier nicht mehr wohnen. Sie wollte die Tür abschließen und nie wieder zurückkehren.
    Am Morgen des nächsten Tages klopfte es leise an der Haustür.
    Anna hatte keine Lust, irgendjemanden zu sehen, aber aus einem Impuls heraus öffnete sie. Vor ihr stand ein elegant wirkender Herr, groß und ein wenig altmodisch gekleidet: mit Hut und Gehstock.
    »Ja?«, fragte Anna.
    »Frau Sugus?«
    Anna antwortete: »Glück. Anna Glück.«
    Der Mann deutete eine Verbeugung an:
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher