Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glücksbüro

Das Glücksbüro

Titel: Das Glücksbüro
Autoren: Andreas Izquierdo
Vom Netzwerk:
Zuschauer. Es waren die Linien. Schöne, gerade Linien, die einem anzeigten, ob man noch im Spiel oder schon draußen war, ob man ein Tor geschossen hatte oder nicht. Ohne Linien kein Spiel. Und je kleiner das Spielfeld, desto weniger Mitspieler gab es. Ordnung regierte, nicht Chaos.
    Albert beendete sein Mahl, räumte ab, spülte Besteck, Teller und Glas in der Küche sorgfältig ab und verstaute alles wieder in Schränken und Schubladen. Als er die Kerze löschte, war alles wieder an seinem Platz. Als ob er nie da gewesen wäre.
    Später passierte er das Foyer, in das von draußen fahles Mondlicht fiel, sah zu dem Nachtportier in der Einfahrt rüber, der, wie üblich, eingeschlafen war, stieg Treppen hinauf und bog im dritten Stock in einen Flur. Von hier aus zweigten im rechten Winkel weitere Flure ab, alle schnurgerade und flankiert von einer Allee identisch grauer Türen, seitlich daneben auf Sichthöhe fein säuberlich die Namen und Referate in geheimnisvoll auf- oder absteigenden römischen und arabischen Zahlen.
    Zwei Gänge weiter bog er nach rechts in einen der längsten Gänge des Amtes und war am Ziel: Elisabeth Seel   /   Mike Schulze, VII.8 . Albert kramte einen gewaltigen Bund aus seiner Hosentasche, suchte nach dem passenden Schlüssel, fand ihn und betrat in aller Ruhe das Büro. Eine kleine Taschenlampe flammte auf, und der Lichtkegel fiel zunächst auf den Schreibtisch von Frau Seel, der sehr ordentlich war, dann auf den Schreibtisch von Herrn Schulze, der wie ein Kriegsgebiet wirkte.
    Albert wählte Schulzes Schreibtisch und stellte zufrieden fest, dass der mal wieder seine Schubladen nicht abgeschlossen hatte, der Schlüssel steckte noch. Das übernahm jetzt Albert; er verschloss den Schreibtisch und steckte den Schlüssel ein. Das war schon alles, sein ganzer kleiner Plan.
    Aber ohne es zu ahnen, hatte Albert damit gerade sein Spielfeld vergrößert.

2.
    Ein neuer Morgen ließ die Drehtür im Foyer rotieren, und es sah aus, als ob die draußen wartende Beamtenschlange von einem Propeller in der Mitte in kleine Beamtenstückchen gehackt wurde, die, sobald die Tür sie drinnen ausgespuckt hatte, hurtig nach allen Seiten ausschwärmten und laut MOGGGÄÄÄN ! riefen. Am Ende des Foyers warteten die Aufzüge, die die kleinen, herumstreunenden Schnipsel aufnahmen, bis sie voll waren. Dann schloss sich die Klappe und sie wurden hinaufbefördert. Einige nahmen die Treppen, in der Regel die aus dem ersten Stock oder die, denen der Arzt mehr Bewegung verordnet hatte, aber viele waren es nicht.
    Im Büro Elisabeth Seel   /   Mike Schulze, VII.8 bereiteten sich die beiden Beamten auf den Tag vor, was in Elisabeths Fall traditionell das Aufbrühen von Kaffee bedeutete, bei Mike hingegen hieß, dass er sich auf seinem Schreibtischstuhl fläzte, die Füße auf dem Tisch und die Arme hinter dem Kopf verschränkt hatte. Dabei starrte er unentwegt auf die Uhr oberhalb der Eingangstür, die in wenigen Sekunden auf 7.30   Uhr springen würde.
    Mike zählte: »5, 4, 3, 2, 1 … Action!«
    Die Tür öffnete sich.
    Albert trat ein, unter dem Arm zwei Hängeordner mit Anträgen und Briefverkehr.
    Mike nahm seine Hände hinter dem Kopf hervor und zielte mit den Zeigefingern auf Albert: » Sie täuschen mich nicht!«
    Einen Moment lang sah Albert ihn ausdruckslos an und fragte sich, ob Mike Schulze einen Verdacht hegte, dann aber entnahm er seinem Gesichtsausdruck, dass einzig und allein das morgendliche Ritual anstand. Daher wandte er sich Elisabeth zu: »Guten Morgen, Elisabeth.«
    »Morgen, Albert.«
    Mike zielte immer noch auf Albert und rief: »Sie sind Stempel-Man !«
    »Mike!«, mahnte Elisabeth.
    Der schüttelte unbeirrt den Kopf: »Er versucht, uns zu täuschen, Lizzy. Merkst du das nicht? Unter dem unscheinbaren Äußeren lauert eine Kampfmaschine! Ein Akten-Ninja! Ein Mann …«, er ließ sich etwas Zeit für eine dramatische Pause, »… mit dunklen Geheimnissen.«
    »Er macht nur Quatsch, Albert«, beschwichtigte Elisabeth.
    »Ich weiß.« Alberts Miene blieb unbewegt, denn Mike Schulze demonstrierte jeden Morgen sein ungeheuer komisches Talent, über das nur Elisabeth lachen konnte. Was nicht verwunderlich war, denn die Art und Weise, wie sie Mike ansah, verriet Albert, dass sie gerne über seine Scherze lachte, denn offensichtlich mochte sie ihn sehr.
    Albert hingegen lachte nie.
    Elisabeth deutete auf seinen Mundwinkel: »Sie haben da übrigens was …«
    Albert suchte ein Taschentuch aus seiner
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher