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Das Glück mit dir (German Edition)

Das Glück mit dir (German Edition)

Titel: Das Glück mit dir (German Edition)
Autoren: Lily Tuck
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leidenschaftliche Weise, sie mag nicht daran denken – sie haben sie zum Höhepunkt gebracht. Sie drückt die Hand an ihre Lippen.
    Wann haben sie zuletzt miteinander geschlafen?
    An einem Sonntagmorgen vor ein paar Wochen. Das Haus ist still, die Vorhänge zugezogen und das Schlafzimmer dunkel genug. Sie schämt sich, fühlt sich zu alt für Sex. Außerdem braucht er jetzt länger.
    Auch in Paris, in Tante Theas altmodischer Wohnung mit den geschlossenen Fensterläden, an der Rue de Saint-Simon, wo sie auf dem Weg zu Philips Zimmer gegen Möbel stößt – Beistelltische, dünnbeinige Stühle, Glasvitrinen mit Porzellanfigürchen – und wo Philip im Bett anschließend zugibt, dass er nervös gewesen ist. Ohne ihr zu erzählen warum, sagt er, dass er schon lange keinen Sex mehr gehabt hat. Er habe Angst gehabt, sagt er, er könnte es verlernt haben.
    Das verlernt man nicht – wie Fahrradfahren, erwidert Nina.
    Ihre einfallslose Bemerkung bringt ihn zum Lachen, und beruhigt oder zumindest weniger nervös liebt Philip sie ein zweites Mal.
    Ist er ihr treu gewesen?
    Sie greift nach dem Weinglas.
    Ohne nachzudenken, greift Nina außerdem in die Tasche der Windjacke und zieht eine Münze heraus. Sie fühlt sich wie ein 1-Cent-Stück an.
    Kopf? Zahl?
    »Die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Ereignisses, wenn es zwei mögliche Ausgänge gibt, nennt man binomische Wahrscheinlichkeit«, erklärt Philip seinen Studenten. »Das geläufigste Beispiel für binomische Wahrscheinlichkeit ist das Werfen einer Münze, eine einfache Art, einen Streit zu beenden oder zwischen zwei Möglichkeiten zu entscheiden. Wahrscheinlichkeiten werden in Zahlen zwischen eins und null ausgedrückt. Eine Wahrscheinlichkeit von eins bedeutet, dass ein Ereignis sicher eintreten wird …«
    Als Louise sechs Jahre alt ist, macht sie mit Philip ein Spiel, bei dem sie Münzen werfen. Die Ergebnisse hält sie samt Datum in einem kleinen orangefarbenen Notizbuch fest, das sie in der obersten Schublade von Philips Nachttisch aufbewahrt:
    5-mal Kopf, 10-mal Zahl – 10.10.1976
    9-mal Kopf, 11-mal Zahl – 3.5.1977
    17-mal Kopf, 13-mal Zahl – 2.9.1979
    Je öfter man eine Münze wirft, Lulu, sagt Philip zu Louise, desto eher entspricht das Verhältnis von Kopf und Zahl der theoretischen Wahrscheinlichkeit.
    5039-mal Kopf, 4961-mal Zahl – 3.5.1987
    Beim letzten Eintrag nimmt Louise einen Taschenrechner zu Hilfe.
    »Bedenken muss man außerdem, und das begreifen viele Menschen nur schwer«, setzt Philip seine Erläuterungen vor den Studenten fort und zieht einen Penny aus der Tasche, den er in die Luft wirft und auffängt, »dass eine Münze, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Malen Kopf gezeigt hat, beim nächsten Mal nicht, sozusagen als Ausgleich, die Zahl zeigen wird. Ein zufälliges Ereignis wird nicht von den vorausgehenden Ereignissen beeinflusst. Jeder Wurf ist ein unabhängiges Ereignis.«
    Kopf, sagt Philip zu Louise.
    Wieder Kopf.
    Kopf.
    Zahl, sagt er.
    Einem Impuls folgend, wirft Nina die Münze, die sie in der Tasche von Philips Windjacke gefunden hat. Da es zu dunkel ist, um zu sehen, welche Seite oben liegt, legt sie die Münze auf den Nachttisch. Morgens wird sie daran denken, nachzusehen:
    K opf ist Erfolg, Zahl ist Scheitern.
    Und das Datum in Louises orangefarbenem Notizbuch festhalten: 5.5.2005.
    5 5 5
    Was, so fragt sie sich, bedeuten die drei Fünfen?
    Zahlen sind die ursprünglichste Manifestation der Archetypen. Sie sind in der Natur allgegenwärtig. Teilchen wie Quarks und Protonen können zählen – woher weiß sie das? Weil sie mit Philip gegessen, geschlafen, geatmet hat. Teilchen zählen vielleicht nicht auf die gleiche Weise wie wir, aber sie zählen, wie es vielleicht ein einfacher Schafhirte tut – ein Schafhirte, der möglicherweise nicht über drei hinaus zählen, aber sofort sagen kann, ob seine Herde von, sagen wir, 140 Schafen vollständig ist oder nicht.
    Sie erinnert sich an das Beispiel vom Schafhirten, der nicht rechnen kann, und seinen Schafen.
    Sie trinkt noch einen Schluck Wein. Sie hat seit dem Mittag nichts gegessen, aber Nahrung zu kauen erscheint ihr als undurchführbare Aufgabe. Eine Aufgabe, die sie vielleicht vor langer Zeit bewältigt hat, von der sie aber jetzt vergessen hat, wie es geht.
    Sie hätte gern eine Zigarette. Seit zwanzig Jahren hat sie nicht geraucht, aber der Gedanke an das Anzünden – an den köstlichen Kohlehauch des angerissenen Streichholzes – und an das Inhalieren des
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