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Das Glück mit dir (German Edition)

Das Glück mit dir (German Edition)

Titel: Das Glück mit dir (German Edition)
Autoren: Lily Tuck
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Sternenstaub.
    Was genau hat er zu ihr gesagt?
    Ich bin ein bisschen müde, ich werde mich vor dem Abendessen ein wenig hinlegen.
    oder
    Ich werde mich vor dem Abendessen ein wenig hinlegen. Ich bin ein bisschen müde.
    Oder ganz etwas anderes.
    Sie ist in der Küche, schleudert den Salat. Sie blickt kurz auf.
    Wie war dein Tag?
    Sie hört nur mit halbem Ohr hin.
    Wir hatten eine Fakultätssitzung. Du solltest hören, wie diese jungen Physiker reden! Sie sind verrückt, sagt Philip und geht nach oben.
    Sie macht die Salatsoße, sie deckt den Tisch. Sie holt das Hühnchen aus dem Ofen. Sie kocht neue Kartoffeln. Dann ruft sie ihn.
    Philip! Essen ist fertig.
    Sie will eine Flasche Wein öffnen, doch der Korken sitzt zu fest. Er wird es schaffen.
    Noch einmal: Philip, Philip! Abendessen!
    Sie weiß schon, was los ist, bevor sie das Schlafzimmer betritt.
    Sie sieht seine Füße, die in Socken stecken. Die Schuhe hat er ausgezogen.
    An was hat er gedacht? Ans Abendessen? An sie? An die Arbeit eines seiner Studenten, die er gerade liest und in der argumentiert wird, Kronecker verteidige zu Recht die Lehre des Aristoteles, dass keine aktuale Unendlichkeit möglich sei? Unendlichkeit. Unendliche Mengen. Unendliche Reihen.
    Die Unendlichkeit macht ihr Angst.
    Sie bereitet ihr Alpträume. Als Kind hatte sie einen immer wiederkehrenden Traum. Einen Traum, den sie nie in Worte fassen kann. Am ehesten kann man noch sagen, erklärt sie Philip, dass er etwas mit Zahlen zu tun hat. Die Zahlen – wenn es sich wirklich um Zahlen handelt – sind zu Anfang klein und handhabbar, obschon Nina im Traum weiß, dass das nicht so bleiben wird, denn bald werden sie an Macht gewinnen und sich vervielfachen; sie werden riesig und unkontrollierbar. Sie bilden einen Abgrund. Ein schwarzes Loch der Zahlen.
    Da bist du in guter Gesellschaft, sagt Philip dazu. Das hatten die Griechen, Aristoteles, Archimedes, Pascal auch.
    Den Traum?
    Nein, das, wofür der Traum steht.
    Und das wäre?
    Panische Angst vor der Unendlichkeit.
    Aber für Philip ist die Unendlichkeit nur eine verrückte Vorstellung.
    Die Unendlichkeit, sagt er, ist absurd.
    »Angenommen, Sie gehen in einer dunklen Nacht eine menschenleere Straße entlang«, beginnt Philip immer seinen Grundkurs zur Wahrscheinlichkeitsrechnung, »und sehen plötzlich einen Mann mit Skimaske, einen Koffer in der Hand, aus einem Juwelierladen kommen, dessen Fenster, wie Sie bemerkt haben, eingeschlagen ist. Bestimmt werden Sie davon ausgehen, dass der Mann ein Einbrecher ist und gerade den Juwelierladen ausgeraubt hat. Aber damit können Sie natürlich vollkommen falschliegen.«
    Philip ist beliebt als Dozent. Seine Studenten mögen ihn. Besonders die weiblichen, das entgeht ihr nicht.
    Er ist so heiter, so fröhlich, so attraktiv.
    Vous permettez?
    Er ist so höflich.
    Zu höflich, wirft sie ihm manchmal vor.
    Sie gehen nicht gleich miteinander ins Bett. Stattdessen fragt er sie über den berühmten amerikanischen Maler aus.
    Ich will nicht, dass du mit jemand anderem als mir schläfst, sagt er. Das hört sich ziemlich leidenschaftlich an. Sie stehen an der Ecke Boulevard Saint-Germain und Rue de Saint-Simon, in der Nähe der Wohnung, inder er bei seiner verwitweten Tante lebt. Eine französische Tante – oder jedenfalls so gut wie französisch. Sie hat einen Franzosen geheiratet und lebt seit vierzig Jahren in Frankreich. Tante Thea ist französischer als die Franzosen. Sie spricht über Politik und über Essen; sie ist untadelig gekleidet und perfekt frisiert; sie serviert mittags dreigängige Menüs, spielt in einem exklusiven Club in Neuilly Golf, fährt jedes Wochenende aufs Land. Sie nennt Philip mon petit Philippe , und mit der Zeit lernt Nina sie schätzen.
    Ein heißer Samstagnachmittag, die Wohnung wird leer sein. Auf der anderen Seite des Boulevards steht ein Polizist, der ein Ministerium bewacht. Über dem verschlossenen Eingang hängt schlaff eine Fahne. Autos fahren vorbei, ein Bus, ein paar lärmende Motorräder. Sie stehen beisammen und sagen kein Wort.
    Komm, sagt Philip schließlich.
    Mon petit Philippe.
    Nina lächelt in sich hinein bei der Erinnerung.
    Er ist so zaghaft, so entschlossen, ihr zu gefallen.
    »Die Annahme, dass der Mann in der Skimaske den Juwelierladen ausgeraubt hat, ist ein Beispiel für eine plausible Schlussforderung, aber in diesem Kurs«, fährt Philip in seinem Seminar fort, »wollen wir uns mit deduktiven Schlussfolgerungen beschäftigen. Wir werden uns ansehen,
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