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Das Glück einer Sommernacht

Das Glück einer Sommernacht

Titel: Das Glück einer Sommernacht
Autoren: Barbara Wallace
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anderen Ende der Leitung. Versuchte er gerade, sie schon heute gleich wieder loszuwerden?
    Vorsichtig trat Kelsey näher, blieb vor der angelehnten Tür zum Büro stehen und spähte durch den Spalt. Alex Markoff hatte ihr den Rücken zugewandt. Sie sah, wie seine Schultermuskeln sich unter dem Hemd anspannten. Als er leicht den Kopf drehte, erkannte sie dieselbe Anspannung in seiner Miene.
    „Haben Sie schon mal überlegt, dass ich vielleicht nicht arbeiten kann, wenn mir jemand Tag und Nacht über die Schulter schaut?“, sagte er. Ein Kiefernmuskel zuckte, während er den Worten seines Gesprächspartners lauschte. Plötzlich spiegelte sich Ungläubigkeit in seinen Augen wider. „Was haben Sie da gesagt? Ja, ich weiß, was Vertragsbruch bedeutet. Aber Sie würden doch nicht …“
    Stille folgte, dann hörte Kelsey, wie Alex Markoff tief Luft holte. Sein Unglaube hatte sich in mühsam beherrschten Zorn verwandelt. „Ist gut. Sie kriegen Ihr verdammtes Buch.“
    Kelsey fuhr zusammen, als er sein Handy auf den Tisch warf. Vertragsbruch? Man drohte ihm mit einem Gerichtsverfahren? Kein Wunder, dass Mr Lefkowitz so darauf bestanden hatte, dass sie unter allen Umständen hier ausharren sollte. Und kein Wunder, dass Alex Markoff sie nicht mit offenen Armen empfangen hatte. Er hatte recht. Sie war wirklich sein Babysitter.
    Drinnen im Zimmer stöhnte er frustriert auf, und Kelsey hörte Schritte. Hastig wich sie zurück und suchte fieberhaft nach einer Erklärung, falls er sie hier beim Lauschen ertappte. Im nächsten Augenblick schlug eine Tür zu. Sie war in Sicherheit. Mr Markoff war direkt hinaus in den Garten gegangen. Sie warf einen vorsichtigen Blick nach draußen und sah, wie er mit raschen Schritten in Richtung Wald davonging.
    Jetzt entfuhr ihr selbst der tiefe Seufzer, den sie unterdrückt hatte, seit sie angekommen war.
    Es wurde wohl wirklich ein langer Sommer.
    Am Abend packte Kelsey ihre Koffer aus und richtete sich in dem Zimmer häuslich ein, das sie die nächsten drei Monate bewohnen würde. Da Alex Markoff nicht erwähnt hatte, welches Zimmer sie beziehen sollte, hatte sie eines genommen, das am ehesten nach Gästezimmer aussah. Wie das ganze Haus war auch dieser Raum dunkel, voller Holz, in Jägergrün- und Brauntönen gehalten. Es fehlte nur noch ein Hirschgeweih an der Wand.
    Zedernduft wehte aus dem Schrank und verstärkte die rustikale Atmosphäre. Nacheinander holte sie ihre Sachen aus den beiden Koffern und zählte dabei in Gedanken, wie oft sie diese Prozedur schon hinter sich gebracht hatte. Jeder Handgriff war Routine. Zuerst nahm sie sich die Kommode vor, in deren Schubladen sie so wenig Platz wie möglich belegte – eine Gewohnheit aus vergangenen Zeiten, als sie ihr Zimmer immer mit vielen anderen Mädchen teilen musste. Dann kam der Kleiderschrank an die Reihe.
    Für dieses Auspacken und Einräumen brauchte sie selten länger als eine Viertelstunde. Sie hatte früh gelernt, mit leichtem Gepäck durchs Leben zu gehen und nirgends zu fest Wurzeln zu schlagen, daher passte ihr ganzer Besitz in zwei große Koffer.
    In diesem Sommer hatte sie mehr Gepäck als sonst. Das lag daran, dass sie während der letzten zwei Jahre als Untermieterin in ein und derselben Wohnung gelebt hatte. Die längste Zeit, die sie je an einem Ort geblieben war! Da hatten sich ein paar Dinge mehr angesammelt.
    Zum Abschluss des Rituals griff sie nach ihrer Aktentasche. Ohne hinzusehen, ertastete sie darin ihren kostbarsten Besitz. Der alte Porzellanbecher fühlte sich kühl an, obwohl er den ganzen Tag in der Tasche verbracht hatte. Kaum noch vorstellbar, dass den Becher einst ein handgemaltes Muster aus bunten Blumen geschmückt hatte. Nur noch ein paar blasse Farbflecke waren davon übrig geblieben. Vom vielen Spülen hatte der Henkel einen Knacks.
    Lächelnd schloss Kelsey die Hände um den Becher. Sie stellte sich vor, wie er, noch in seiner ganzen Farbenpracht, auf einer Arbeitsfläche stand und eine Frauenhand ihn mit Kaffee füllte. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie auch noch ihre Mutter vor sich sehen, wie sie den Becher an die Lippen hob. Obwohl es mit den Jahren immer schwerer wurde, die Erinnerung heraufzubeschwören.
    Plötzlich fühlte Kelsey sich unendlich klein und allein, als hätten die Bilder vor ihrem inneren Auge sie wieder in die Vergangenheit zurückversetzt. Einen Augenblick lang war sie keine erwachsene Frau mehr, die ihr Schicksal im Griff hatte. Sie war wieder ein kleines Mädchen, das
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