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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor
Autoren: Sabine Wassermann
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war.
    »Anschar!«, donnerte er.
    Er war es. Grazias Knie waren augenblicklich weich wie Butter. Die Erleichterung überflutete sie, dass sie auflachen wollte. Anschar stand auf der Galerie.
    »Komm herunter, Sklave«, sagte Mallayur. Grazia bemerkte, wie Geeryu an ihr Ohr griff, als überlege sie, ob sie den Reif verdecken oder noch deutlicher zeigen solle. Ansonsten zeigte sie mit keiner Regung, ob sie überrascht war.
    Anschar sprang über die Brüstung.
    »Wirf dein Schwert weg.« Der nächste Befehl. Grazia stockte das Herz, als Anschar es fast ohne zu zögern tat. Was hatte er vor? Hatte er überhaupt irgendeinen Plan? Oder war das Sklavendasein so tief in ihm verankert, dass er gar nicht anders konnte, als seinem Herrn zu gehorchen? Er wirkte gehetzt. Sein Blick flog zwischen Mallayur und Geeryu hin und her. Den Gott beachtete er nicht.
    »Jetzt weiß ich wenigstens, wieso den Gott mein Opfer nicht erfreute«, sagte Mallayur, den es verwirren musste,
dass Anschar am Leben war. »Bei Hinarsyas Schoß, wie bist du entkommen?«
    »Ist das wichtig?«
    »Wenn ich bedenke, was ich alles wegen dieses Gottes tat – ja! Ich habe seinem Schoßtier das bestmögliche, das edelste Opfer dargebracht und die ganze Zeit geglaubt, er habe es verworfen. Dabei hat der Schamindar dich gar nicht angerührt! Ich hätte das verfluchte Biest einfangen sollen.«
    »So wie du den Gott gefangen hast? Mit Geeryus Hilfe?« Anschar ging langsam auf ihn zu. »Um den Gott damit zu erpressen?«
    Mallayurs Antwort war ein grollendes Schnauben.
    »Der Gott wird dein Land nicht retten«, fuhr Anschar scheinbar ungerührt fort. Grazia kannte ihn gut genug, um die Anspannung zu spüren, unter der er litt. »Du hast mich opfern wollen. Du hast sogar die schwebende Stadt in Brand gesteckt, um den Gott zu erpressen. Aber du kannst noch so viele Leben vernichten, es wird dir nichts nützen. Ein Gott kann nicht der Sklave eines Menschen sein.«
    »Was redest du da für ein Zeug? Was verstehst du schon davon?«
    »Besonders klug muss man dafür wirklich nicht sein. Was nicht für dich spricht, würde ich sagen.«
    »Bleib stehen!« Der König von Hersched wich einen Schritt zurück, gleichzeitig hob er abwehrbereit den Speer. »Geeryu? Wo steckst du?«
    »Hier, mein Herr, ich habe mich nicht von der Stelle gerührt«, sagte sie ruhig.
    »Dann mach dich nützlich. Halte ihn auf!«
    Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Gemächlich reckte sie sich. Grazia versuchte sich zu sammeln, um etwas zu tun, von dem sie nicht wusste, was das sein sollte, und das vermutlich aussichtslos war. Mit ihrer Fähigkeit hatte sie es nicht einmal
geschafft, dem Wächter zu entkommen. Was konnte sie gegen diese Frau ausrichten?
    Geeryu hob eine Hand. Der unsichtbare Schlag gegen Anschar blieb jedoch aus. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich jähes Erschrecken, und sie deutete auf die Galerie.
    Flammen fraßen sich an einem der Holzpfeiler hinauf.

    Ein Schrei ertönte, der Anschar durch die Knochen ging. Zwei, drei Menschen hasteten die Galerie entlang, fort von dem Feuer. Mallayurs Miene wirkte leer, während er nach oben starrte. Anschar warf sich zu Boden. Er rollte über das Gras, ergriff im Aufspringen sein Schwert und tauchte unter dem Speer hinweg, um es ihm in den Bauch zu stoßen. Mallayur japste und machte, wohl unbeabsichtigt, einen Schritt seitwärts. Die Bronzeklinge glitt ins Leere. Anschar fluchte innerlich. Es musste schnell gehen! Er stürzte an ihm vorbei, wirbelte herum und führte einen Schlag aus, der Mallayur den Kopf von den Schultern trennen sollte. Doch eine Handbreit vor dem Ziel wurde die Klinge von einer unsichtbaren Barriere aufgehalten.
    Mallayur taumelte weg, als habe er wenigstens einen Schlag gespürt. Er drehte sich um und hob den Speer. »Ist dir nicht bewusst, dass du deinen Herrn angreifst, Sklave?«
    Der Speer rauschte dicht an Anschar vorbei, durch die trockenen Büsche und klapperte über die Pflastersteine des Pfeilergangs.
    Anschar rannte auf Mallayur zu. Ihm war bewusst, dass er seinen Herrn zu töten gedachte, und es machte ihn eine Spur langsamer. Aber er durfte nicht daran denken, dass er nach wie vor und noch sein ganzes Leben lang ein Sklave war. Nicht jetzt. Er holte aus. Wieder prallte das Schwert gegen ein von Geeryu geschaffenes Hindernis.
    Allmählich schien Mallayur zu begreifen, dass er geschützt
wurde. Er straffte sich und eilte zu dem Leichnam des Wächters, um dessen Schwert an sich zu nehmen. Anschar setzte ihm nach.
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