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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen
Autoren: Jeffery Deaver
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Jetzt trug sie ein elegantes, blaues Kostüm samt weißer Bluse und einem Paar hoher, marineblauer Stöckelschuhe, mit denen sie locker auf einsachtzig kam. Ihr rotes Haar war zu einer perfekten Frisur hochgesteckt.
    Dennoch blieb sie seine Sachs; ihre silbernen Ohrringe hatten die Form winziger Patronen.
    Das Telefon klingelte. »Kommando, Telefon, Abheben«, rief Rhyme.
    Klick.
    »Lincoln?«, ertönte eine weibliche Stimme aus dem Lautsprecher.
    »Dr. Weaver«, begrüßte Rhyme die Neurochirurgin.
    Sachs kümmerte sich nicht länger um ihre modische Erscheinung, sondern setzte sich auf den Rand des Flexicair- Betts.
    »Ich habe Ihre Nachricht erhalten«, sagte die Ärztin. »Meine Assistentin sagt, es ist dringend. Geht es Ihnen gut?«
    »Ja, alles prächtig«, sagte Rhyme.
    »Halten Sie sich auch brav an meine Anweisungen? Kein Alkohol, viel Schlaf? Nein, sagen Sie es mir lieber, Thom. Sind Sie da?«, fragte sie lachend.
    »Er ist unten«, erklärte Rhyme und lachte ebenfalls. »Zurzeit ist niemand hier, um zu petzen.«
    Außer Sachs natürlich, aber die würde ihn nicht verraten.
    »Ich möchte, dass Sie morgen zu mir in die Klinik kommen, damit ich Sie vor der Operation noch einmal gründlich untersuchen kann. Mir schwebt vor.«
    »Doktor?«
    »Ja?«
    Rhyme sah Sachs an. »Ich habe beschlossen, den Eingriff nicht durchführen zu lassen.«
    »Sie.«
    »Ich will die Sache abblasen. Auch wenn mich das meine Zimmerreservierung und die Anzahlung kostet«, scherzte er.
    Einen Moment lang herrschte Schweigen.
    »Sie wollten diese Operation mehr als jeder andere Patient, den ich bislang behandelt habe«, sagte Dr. Weaver dann.
    »Ja, das ist richtig. Aber ich habe meine Meinung geändert.« »Wie Sie sich erinnern werden, habe ich von vornherein auf das hohe Risiko hingewiesen. Ist das der Grund?«
    Wieder ein Blick zu Sachs. »Ich verspreche mir inzwischen doch keinen so großen Vorteil mehr davon«, sagte er.
    »Das ist eine gute Entscheidung, Lincoln. Eine weise Entscheidung.« Sie hielt kurz inne. »Wir machen bei der Behandlung von Rückenmarksverletzungen ständig Fortschritte. Ich weiß, dass Sie die Fachliteratur lesen.«
    »Stimmt, ich bleibe mit dem Finger am Puls der Zeit«, entgegnete er und grinste über die Ironie dieser Metapher.
    »Jede Woche kommt etwas Neues hinzu. Rufen Sie mich an, wann immer Sie möchten. Wir können über weitere Optionen nachdenken. Oder lassen Sie uns einfach plaudern, wenn Ihnen danach ist.«
    »Ja, ich komme gern darauf zurück.«
    »Ich freue mich schon. Auf Wiederhören, Lincoln.«
    »Auf Wiederhören, Doktor. Kommando, Telefon, Auflegen.«
    Im Raum wurde es still, bis Flügelschläge und ein Schatten die friedliche Stimmung durchbrachen, als einer der Wanderfalken auf dem Fenstersims landete. Sie starrten beide den Vogel an.
    »Bist du dir sicher, Rhyme?«, fragte Sachs. »Ich stehe hundertprozentig hinter dir, falls du es durchziehen möchtest.«
    Er wusste, dass er sich auf sie verlassen konnte.
    Aber er wusste auch, und zwar ohne jeden Zweifel, dass er den Eingriff jetzt nicht wollte.
    »Akzeptieren Sie Ihre Einschränkungen ... Das Schicksal hat Ihnen diesen Zustand beschert, Loaban. Und es ist nicht zufällig geschehen. Vielleicht sind Sie nur deswegen ein so guter Ermittler, weil Sie diesen Unfall erlitten haben. Ihr Leben ist jetzt ausgeglichen, würde ich sagen.«
    »Ich bin mir sicher«, sagte er zu Amelia.
    Sie drückte seine Hand. Dann schaute sie wieder zum Fenster hinaus auf den Falken. Rhyme musterte ihr Gesicht, das im indirekten blassen Licht wie ein ernstes Porträt von Vermeer aussah.
    »Sachs, bist du dir denn sicher, dass du dies tun willst?«, fragte er schließlich und nickte in Richtung der Akte, die auf dem Tisch lag. Sie enthielt neben einem Foto von Po-Yee eine Reihe von beeidigten Erklärungen und offiziell wirkenden Dokumenten.
    Das oberste Blatt trug die Überschrift ADOPTIONSANTRAG.
    Amelia sah Rhyme an. Ihr Blick verriet ihm, dass auch sie ihre Entscheidung unwiderruflich getroffen hatte.
    Im Zimmer der Richterin lächelte Sachs Po-Yee zu, dem »Geliebten Kind«, das die Sozialarbeiterin soeben neben ihr auf einen Stuhl gesetzt hatte. Das Mädchen spielte mit der Stoffkatze.
    »Miss Sachs, dies ist eine ausgesprochen unorthodoxe Adoptionsverhandlung, aber ich glaube, das wissen Sie bereits.« Die korpulente Richterin Margaret Benson-Wailes saß hinter ihrem gnadenlos überladenen Schreibtisch im dunklen Säulenbau des Familiengerichts von
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