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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns
Autoren: Dieter Kühn
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wieder aus. Zurückkehrend öffnete ich heftiger als sonst die Tür: der Luftdruck sollte die Kerze ausblasen, doch flackernd beleuchtete sie die Wasserschüssel, das akkurat gefaltete Handtuch, das Pappschild. Ich ging mit ruckhafter Entschlossenheit am Arrangement vorbei, kehrte dann aber doch um, wusch mir die Hände, trocknete sie ab, legte mich ins Ehebett. Noch ziemlich lange spürte ich, dass die Hände frisch gewaschen waren.
    Bei nächster Gelegenheit blieb ich wieder weg, konnte nicht anders, die entschieden jüngere Frau hatte mich völlig in Bann geschlagen, fast war ich ihr hörig geworden, dieser zweiten Mallika (versehentlich sprach ich sie auch so an), sie hielt das für einen originellen, nur für sie gültigen Kosenamen. Und wieder war, bald nach der Begrüßungsumarmung, der Siedepunkt erreicht. Erst in den Morgenstunden ging ich heim. Kerze, Waschtopf, Handtuch, Pappschild. Ich schloss die Augen, sah trotzdem Kerze, Waschtopf, Handtuch, Pappschild. Öffnete die Augen, sah nun erst recht die Kerze, den Waschtopf, das Handtuch, das Pappschild: »Bitte wasch dir die Hände.«
    Und die Folgen? Wenn ich die andere, die jüngere Frau begrüßte, mit verzweifelt heftiger Umarmung, während ich sie sogleich auszog, sah ich deutlich, fast überdeutlich die Kerze, den Waschtopf, das Handtuch, das Pappschild. Fast war ich versucht, die Hände von der schönen Haut abzuheben, um mir das Händewaschen zu ersparen, es wenigstens zu verkürzen, aber die Geliebte wollte, dass ich ihre Haut berührte. Da sah ich Kerze, Kerze, Waschtopf, Waschtopf, Handtuch, Handtuch, Pappschild, Pappschild. Die Kerze wurde weich, das Wasser verdampfte, das Handtuch versengte, auf dem Pappschild verblasste die Schrift, während wir
ein
Fleisch wurden, schaukelnd, dampfend. Die Kerze wurde wieder hart, das Waschwasser kondensierte im Topf, das Handtuch faltete sich erneut, die Papptafel beschriftete sich wie von selbst, wenn ich nach kurzem Schlummer neben der Geliebten aufwachte und mich nach Hause verzog. Da stand denn die Kerze, und die sagte genug. Das Wasser sagte sein Sprüchlein. Das Handtuch sprach Bände. Die Papptafel war letztlich überflüssig. Ich wusch mir die Hände, trocknete sie ab, blies die Kerze aus, ging ins Bett. Immer länger fühlten sich die Hände frisch gewaschen an.
    Und ich sah Kerze, Waschtopf, Handtuch, Papptafel vor mir, wenn ich doch wieder das Haus verließ, sah Kerze, Waschwasser, Handtuch, Papptafel vor mir, während ich die zweite Mallika begrüßte, sah Kerze, Waschwasser, Handtuch, Papptafel vor mir, während ich die Geliebte berührte, Kerze krümmte sich, Waschwasser verdunstete, Handtuch verkrumpelte, Papptafel wurde weich, während ich mit ihr eins wurde. Sah Kerze, Waschwasser, Handtuch, Papptafel vor mir, wenn ich die Wohnungstür öffnete. Das machte mich fertig, die Geschichte näherte sich ihrem Ende. Was ihr folgte, wurde Geschichte.

    Denn auch ich war bei Beethoven, in Wien! Ich überspringe Phasen der Vermittlung durch Bekannte, Phasen des obligatorischen Wartens, komme gleich zum Bericht, dies in gebotener Kürze, schließlich wende ich mich an ein Gremium, das vorrangig mit Literatur befasst ist. Es ist nicht meine Sache, Künste zu isolieren, doch mit Beethoven besuchte ich auch einen Literatur-Enthusiasten.
    Bevor ich mich zum »Bär in der Höhle« begab, habe ich mich erneut mit dem Opiat »montiert«, wie Hoffmann gesagt hätte. Jedoch: schon der Antrittsbesuch dauerte weitaus länger als gedacht, geplant, die Wirkung des Mittels ließ nach, die Verständigung wurde erschwert, Beethoven musste zum Konversationsheft greifen. Ich stellte meine Fragen schriftlich, brachte hier auch, von einer der Schiffsreisen berichtend, eine Zeichnung ein vom Klangbaum, zu dem ich auf einer der Südsee-Inseln geführt wurde.
    Ich zeichnete den Trägermast, schrieb daneben: 12 m, zeichnete einige der insgesamt 64 Balken, die rundum aus dem Trägermast herausragten, schrieb dazu: 8 m, zeichnete auf die Balkenenden vertikale Klangwalzen in verschiedenen Längen: zylindrische Resonanzkörper mit Saiten. Schrieb neben die längste der Klangwalzen: 9 m, neben die kürzeste: 30 cm. Übermittelte dem fast atemlos lauschenden Meister, dass bei einem Klangbaumfest sämtliche Walzen von Mitgliedern der akkreditierten Gruppe in Drehung versetzt werden – mal wird die schlanke Spitze eines elfenbeinähnlichen Stabes an die Saiten der rotierenden Klangwalzen gehalten, mal das warzenähnlich ausgewulstete
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