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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns
Autoren: Dieter Kühn
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rote Kappe à la Hoffmann auf, stopfte mir eine überlange Pfeife à la Hoffmann, zündete sie an, schmauchte, paffte, hustete originalgetreu.
    In ähnlicher Aufmachung und Ausstattung hatte ich meinen Auftritt im Berliner Weinlokal Schultheiß, in dem Hoffmann zuweilen einen Kreis um sich bildete – dies mit raschem Zulauf, sobald sich im Viertel herumsprach: Hoffmann ist da!
    Den Zeitpunkt des Auftritts hatte ich genau bedacht, sprich: kalkuliert. Es war die Zeit, in der sich Hoffmann, nach schwerer Erkrankung, zur Kur in Warmbrunn aufhielt – was allein seiner Frau bekannt war, die aber sprach nur Polnisch. In diesem abgesicherten Zeitraum betrat ich das Lokal. Freilich wollte ich – infolge meiner Taubheit – nur als Hoffmann
gesehen
, nicht jedoch als Hoffmann angesprochen werden, und so griff ich auf ein bewährtes Mittel zurück, um Aufmerksamkeit zu wecken, Teilnehmer anzulocken: Ich begann zu zeichnen, und zwar karikierend, wie es Hoffmanns Art war. Währenddes trank ich zuweilen vom Champagner, der mir spendiert wurde, setzte sodann zu einem Monolog an in Hoffmanns Manier. Wenn er erst mal zu sprechen begonnen hatte, gab es kein Halten mehr, das Monologisieren konnte sich über Stunden hinziehn, vor allem, wenn er alkoholisch »montiert« war. Ich erzählte der wachsenden Runde im Weinlokal von mir als Hoffmann in Bamberg, von seinen Erfahrungen im dortigen Theater, nicht zu trennen von meinen Erfahrungen aus der Zeit, da ich Hoffmann beim Malen von Bühnenbildern aushalf, et cetera.
    Dieses Theater war offiziell eine Aktiengesellschaft, faktisch jedoch eine Klitsche, was allein schon dokumentiert wurde durch die Besetzung des leitenden Gremiums, allen voran ein Zuckerbäcker und ein Seifensieder – mit solchen Figuren also sollte man auskommen, zurechtkommen, denen sollte man Verständnis beibringen etwa für die Inszenierung der Montezuma-Oper von Graun, sprich: für die notwendigen Ergänzungen des gewohnten Instrumentariums durch indianische Perkussionsinstrumente – schließlich geht es nicht nur um die sichtbare, auch um die hörbare Konfrontation zweier Welten, rief ich aus. Und fuhr in gleitendem Übergang fort: Wenn der Darsteller des Montezuma, den Zeremonial- oder Tanzhut aufgestülpt, zu rituellen Bewegungen ansetzt, so darf er nicht von gewohnten Holz- und Streichinstrumenten begleitet, sprich: stimuliert, sprich: angefeuert werden, es müssen importierte Trommeln geschlagen, muss eine originale Spaltflöte angesetzt werden – und das in Bamberg! Wenn Graun nicht in der Lage war, das so umzusetzen, müssen wir das eben nachholen! Man stelle sich vor, rief ich in die atemlos lauschende Runde, aufstehend, einige Tanzbewegungen andeutend, man stelle sich vor: Montezuma setzt an zum Tanz vor den Conquistadores, auf dem Haupt besagter Zeremonialhut mit den Federbändern verschiedener Vögel, wobei jedes Federband einen bestimmten Naturdämon verkörpere, oder eher: markiere, sprich: Schwanz- und Kragenfedern in Weiß von einem Hahn, in Schwarz von einem Hokko-Huhn, in Türkis von einem Tukan, in Rot und Grün von einem Ara, wiederum in Weiß von der Harpyie, einem besonders hässlichen, dennoch verehrten Großvogel, und von diesem Tanzhut herab ein langer Nackenbehang aus drei Federreihen, vor allem vom weißen Riesenstorch und dem Gelbbrust-Ara, und beim Tanz geraten die Federn in Schwingung wie Flügel eines abhebenden Vogels – so ein Tanz, rief ich, mich wieder setzend, so ein Tanz
kann
doch nur begleitet werden vom Rasseln einer Kalebasse, verziert mit kleinen Federbüscheln aus grünen Arafedern und braunhell gestreiften Harpyienfedern!
    Ja, so ließ ich mich mitreißen von meiner Darstellung, sprach immer rascher, so wie Hoffmann immer rascher gesprochen hat, zuweilen derart rasch, dass Mithören kaum möglich war, vor allem wenn Hoffmann – frontal zahnlos – vor sich hin nuschelte, was bei mir, obwohl Doppelgänger, nicht der Fall war, schließlich war ich jünger als Hoffmann zu jener Zeit, ein Hoffmann, mit dem ich mich, obwohl er sich nach der Rückkehr aus Warmbrunn in guter Verfassung befunden haben dürfte, nicht konfrontieren wollte, denn: eine Begegnung mit mir als Doppelgänger-Erscheinung hätte Hoffmann einen tiefen, einen womöglich tödlichen Schreck einjagen können, noch bevor die beruhigende Erklärung hätte erfolgen können: Ich bins! Ja, Schonung war angebracht, eine unvermutete Begegnung mit einem Doppelgänger kann letztlich nur heißen, dass einer von beiden
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