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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns
Autoren: Dieter Kühn
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überzählig ist hier auf Erden. Wem ein Doppelgänger entgegentritt, der sieht sich gleichsam abgelöst durch eine verteufelt ähnliche Erscheinung.

    Da ich mich hiermit an die Schillerstiftung wende, muss ich mich vorrangig als Schriftsteller ausweisen. Meine Publikationen sind allerdings weit verstreut, und der Roman ist vergriffen, fast verschollen, also darf ich, zum gerechten Ausgleich, kurze Einblicke gewähren in mein Werk. Ich mache es mir nicht so leicht, dass ich einfach nur aus dem Roman zitiere, ich biete Ihnen als Textproben an: klangvolle Sequenzen aus meinem jüngsten Libretto. Hier greife ich den Faden wieder auf.
    Es erscheint, angemessen verspätet, ein besonderer Besucher: Giovanni de Salviatis, einige Jahre zuvor Mona Lisas Liebhaber … Kaum sind sie allein, la Gioconda und Giovanni, kriegt ihre schwelende Liebe wieder den rechten Zug, flackert, züngelt, flammt auf … Duett, das sich steigert, sie schrauben sich singend in die Höhe: Amore … il nostro amore … amore appassionato … che domina la testa, il cuore, il corpo … Der Hausherr, der soeben die letzten Gäste hinausbegleitet hat, kehrt zurück, dem Nebenbuhler bleibt nur Flucht in den Schrank: luftdicht verschließbar zur Erhaltung des Perlenschimmers – splendore opaca delle perle … Der Hausherr schreitet zum Schrank, lächelnd, seinerseits geheimnisvoll lächelnd, dabei singend, und er verschließt den Schrank, zieht den Schlüssel ab, wirft ihn, trotz vehementer Proteste der in Panik geratenen Gattin, zum Fenster hinaus in den Kanal. Und Giocondo zwingt seine Frau zur Hingabe, direkt am Schrank, zu Füßen des Schranks. Fammi sentire: chi è il padrone … fammi sentire: chi ha il potere … Der Nebenbuhler erstickt peu à peu, die von Mona Lisas Zwischenschreien stoßweise akzentuierte Arie wird zum Duett mit der gleichzeitig erstickenden Stimme im Schrank. L’oscuro … il respiro … l’oscuro … il respiro nell’oscuro … buio e sinistro … respiro diminuendo … silencio nell’oscuro … Und Francesco Giocondo singt seinen Triumph hinaus, im Lust- und Siegesrausch.
    Ende des ersten Akts. Fortsetzung des Operngeschehens wenige Briefseiten später. Vielleicht kann Sie auch dies zur weiteren Lektüre des notwendigerweise umfangreichen Schreibens bewegen.

    Um das von Ihnen sicherlich erwünschte, ja erwartete Bild meiner Persönlichkeit mit einem zusätzlichen Akzent zu versehen, beziehungsweise: um das Selbstporträt durch einen weiteren Pinselstrich zu ergänzen, muss ich eingestehn, dass auch bei mir (ähnlich wie bei Hoffmann) das Eheleben nicht ohne Turbulenzen verlief. Falls nach Schuld gefragt wird, wo Natur die Spielregeln diktiert, muss ich sagen: Ja, die Ursachen lagen bei mir, doch vollzog ich einen gewissen Lernprozess. Der freilich indirekt von Caroline eingeleitet wurde.
    Ich mache es kurz. Als ich von einer ersten, nun sagen wir: außerhäuslichen Aktivität zurückkehrte, hatte meine Frau im Flur eine Kerze auf die Kommode gestellt, daneben einen Topf Waschwasser, hatte ein Handtuch dazugelegt, hatte eine kleine Papptafel an den Krug gelehnt mit der Aufschrift: »Bitte wasch dir die Hände.« Ich wusch mir die Hände, trocknete sie ab mit dem sauberen Handtuch, ging ins Schlafzimmer. Caroline stellte sich nicht schlafend, sie schwieg, schwieg vernehmlich vor sich hin. Und ich lag da mit meinen frisch gewaschenen Händen, schlief skrupellos ein. Verließ am Morgen die Wohnung, versuchte, eine Arbeit an den Mann zu bringen bei einer Zeitung, muss die Prozedur nicht weiter beschreiben, kann hier ohnehin einige Tage des Scheinfriedens überspringen – bis die Natur wieder rief. Ich konnte nicht widerstehn, auch nicht unter Aufbietung aller inneren Kräfte, es musste ganz einfach sein. Mit jener Frau hätte ich eine Basthängematte zwischen Palmen so wild zum Schwingen gebracht, dass Kokosnüsse herabprasselten, mit jener Frau hätte ich in einem Schneeiglu unter hartgefrorener Felldecke, auf ebenso hartgefrorener Fellunterlage soviel Wärme entwickelt, dass die Felle weich wurden, zu dampfen begannen. Entsprechend spät kam ich nach Hause, hoffte, dass Caroline nun doch mal schlief. Öffnete leis die Türe, sah im Kerzenlicht den Topf, das gefaltete Handtuch, die beschriftete Papptafel. Ich wollte an Kerze, Waschwasser, Handtuch, Schild vorbeischleichen, doch da schien mir, als hörte ich die Stimme aus dem Schlafzimmer: »Bitte wasch dir die Hände.«
    Wie zum Trotz blieb ich einige Tage später
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