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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns
Autoren: Dieter Kühn
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angekündigt wurde, hatte zudem, aus alter Gewohnheit, ein Nachrichtensystem ausgebaut, durch das er über Heimathafen (hier Cuxhaven), Namen
(Godewind)
und Ladung (Waffen für afrikanische Kriegsherren) informiert war – eine der ablenkenden Beschäftigungen auf der für ihn fast tödlich langweiligen Insel.
    Selbstverständlich wurde ich von einer englischen Wache angehalten, sobald ich mich Haus Longwood näherte. Ich konnte den diensttuenden Sergeanten jedoch leicht davon überzeugen, dass mein Fässchen keinen Sprengstoff enthielt – ich ließ gluckern.
    Warum ausgerechnet dieses Geschenk, werden Sie fragen. Nun, einer Pressenotiz hatte ich entnommen, dass die Engländer, allen voran Insel-Kommandant Sir Hudson Lowe, nicht bereit waren, Napoleon den Wunsch nach Kölnisch Wasser zu erfüllen, nachdem seine an Bord der
Bellerophon
mitgeführten Bestände zur Neige gegangen waren; man blieb britisch hochnäsig, versagte ihm den Import von Kölnisch Wasser, so dass der Exkaiser auf Lavendelwasser angewiesen war, was ihn aber nicht ganz so erfrischte wie Eau de Cologne, das zwar ebenfalls Lavendel enthält, dies jedoch zusätzlich mit dem ätherischen Öl der Zitrone, der Bergamotte, von Rosmarin und weiteren Pflanzen, die mir leider nicht bekannt sind. Dies aber weiß ich: Mein Geschenk war, strenggenommen, gepanschtes Kölnisch Wasser, aber das hat Napoleon nicht anders verdient, nachdem er so vielen Menschen das Leben verdorben oder gar gekostet hatte. Der Inhalt des Fässchens sollte ausreichen für die folgenden Jahre, in denen Napoleon erwartungsgemäß noch beleibter wurde, infolgedessen noch mehr transpirierte, womit sich wiederum der Konsum von Duftwasser erhöhen musste.
    Voilà, es schien, als würde ihm Manna überreicht oder eher: Nektar! Auf der Stelle musste das Fässchen geöffnet werden von einem der Mitarbeiter, die als Zeitzeugen nach St. Helena zitiert worden waren, und schnuppernd überzeugte sich der Exkaiser von der Frische des Eau de Cologne aus Altona, das er für Kölnisch Wasser aus Köln hielt, bestrich mit feuchtem Zeigefinger den Achselbereich seiner Jacke, woran er gut tat, bestrich die Stirn, was sich günstig auswirkte – nach der erst mürrischen Phase wurde er leutselig, erkundigte sich, woher ich käme und was meine Profession sei. Bei den Stichworten Ceylon, Colombo, Regenwald horchte er auf, nahm Platz, forderte mich mit einem Wink auf zu berichten.
    Und ich erzählte von meiner Tigerjagd auf Ceylon. Berichtete dem waffenkundigen Zuhörer, dass ich mir dazu eine Muskete beschaffte. Denn: zum Tiger passt eine Muskete, nicht eine Flinte, nicht ein Gewehr – kein Schießprügel also üblicher Art. Das Schießen musste ich nicht erst erlernen, ich schoss mich ein. Mit der Muskete zog ich denn los, geführt von einem Shikari.
    Erst einmal: langer Anmarsch. Tümpel, Mücken, Mücken … Schilfdickichte, die wir umrunden mussten … Wasservögel, auffliegend, Reiher … Mangrovengehölze … Gestürzte Bäume … Faulendes, zuweilen phosphoreszierendes Holz … Gestrüpp, durch das wir den Pfad freihacken mussten … Mücken, Mücken, Mücken … Wildtauben und Dschungelhühner … Stachelschweine, die aus Verstecken flüchteten …
    Pirschgang über Stunden hinweg. Ich wie besessen vom Wunsch, vom Verlangen, einen Tiger zu schießen. Endlich die ersten Spuren: Tatzenabdrücke im weichen Grund. Dann ein sichtlich von einem Tiger gerissener Zebuochse, aufgefetzt an der Halsschlagader und zum Waldrand gezerrt, wie die Schleifspur verriet. Also war damit zu rechnen, dass der Tiger zurückkehrte zu seinem Opfer, in der Dämmerung, in der Nacht.
    Es waren bereits Schakale beim Tigerköder; sie konnten nicht durch einen Schuss vertrieben werden, das Geräusch hätte den Tiger warnen können. Also kletterten ich und der Shikari auf zwei nebeneinander stehende Bäume, hielten still, obwohl wir, ständig von Mücken umsirrt und gestochen, eigentlich nicht stillhalten konnten, das Warten wurde zur Qual. Doch das Jagdfieber war stärker als der Wunsch nach Schlaf. Wir warteten, warteten. Zwischendurch ein Schauer, wir wurden durchnässt, blieben weiterhin auf den Ästen sitzen. Leuchtinsekten … Nachtfalter … Ein Dschungelhahn … Das Heulen von Schakalen fern, das Schmatzen von Schakalen nah … Und, wie aus dem Boden gestampft, war er da, der Tiger! Ein Fauchen, ein rauer Atemstoß, die Schakale wurden vom Aas weggetrieben, und es begann das Reißen von Fleisch: flatschende, klatschende
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