Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns
Autoren: Dieter Kühn
Vom Netzwerk:
Kanonen. Über ihnen, zwischen ihnen Hängematten, in denen die Kanoniere schlafen – die Matten hängen so dicht, dass bei den Schaukelbewegungen des Schiffes Körper an Körper stößt.
    Mir wurde ein Plätzlein zugewiesen im zweiten Unterdeck, dort, wo sich die Seemänner aufhalten und schlafen. Fragen Sie nicht, wie Luft, womöglich Frischluft in die Holzkammer dringt, die lediglich durch eine sehr steile Stiege zu erreichen ist. Ich kann nur sagen: Stickluft, zum Schneiden dick! Übrigens war unter dem Mannschaftsraum ein drittes Tiefgeschoss, mit der Segelkammer, der Pulverkammer und so weiter. Im Kielraum darunter vor allem Wasserfässer. Das Reich absoluter Finsternis!
    Ich skizziere die drangvolle Enge auf vier Ebenen, um plausibel zu machen, weshalb ich schließlich mit leeren Händen zurückgekehrt bin. Einen Winkel, womöglich Spind, in dem ich meine botanischen Präparate, meine Fundstücke hätte verstauen können, gab es von vornherein nicht. Ich hatte nur eine Kiste zur Verfügung, und in der geschah Schlimmes, bevor das Schlimmste mit ihr geschah. Im feuchtheißen Klima zwischen Ceylon und dem Kap der Guten Hoffnung setzten die getrockneten und gepressten Pflanzen Schimmel an, und die Schmetterlinge, von gleicher Farbenpracht wie die Blüten, wurden von Schädlingen angefressen – winzige Käfer, die sich einfanden wie von einem bösen Geist gerufen.
    Blieben die Vogelpräparate: in einer luftdichten Kiste hätte ich sie retten können, aber die Kiste ließ Luft herein und Gestank heraus, die Seemänner in der Kammer murrten erst, dann maulten sie und schließlich – mir zittert die Hand, während ich das schreibe –, schließlich warfen sie, während ich sinnend am Bug stand, am Heck die Kiste über Bord.
    »Auf Nimmerwiedersehn!«, rufe ich ihnen nach: der Sonnenralle wie dem Schwarzen Geier, der Glanz- wie der Moschusente, dem Truthahngeier, Pfefferfresser, der Lanzettschwanzpipra und Pompadourkotinga, der Rotbug-Amazone und dem Langschwänzigen Tyrannen (Colonia colonus).

    Gleich nach der Rückkehr aus Ceylon unternahm ich, von Cuxhaven aus, einen kräftezehrenden Fußmarsch nach Bamberg. Dort suchte ich den großen E. T. A. Hoffmann auf, half ihm beim Malen von Bühnenprospekten. Als »Famulus« habe ich Hoffmann einiges abgeguckt: Die rote Kappe … den chinesischen Schlafrock … die Pfeife mit einem Stiel, der fast drei Viertel seiner und meiner Gesamterscheinung maß – ich transportierte das zerbrechliche Utensil im Behältnis, in dem auch mein Bassetthorn steckte. (Anmerkung für die Nichtmusiker unter Ihnen: Es handelt sich um eine Alt-Klarinette mit aufgebogenem Schalltrichter.)
    Damit gleich das Stichwort Musik: Ich habe dem Meister auch beim Komponieren assistiert, die eine oder andere Partie ausführend, zu der Hoffmann nicht die rechte Lust verspürte. Schrieb zudem Orchesterstimmen aus. Sang zuweilen auch eine Strophe eines von mir komponierten Liedes, ließ mich auf dem Bassetthorn vernehmen, improvisierend, fantasierend, geisterleicht umherschreitend.
    Die Verständigung mit Hoffmann war allerdings schwierig. Denn: nach (oder eher: auf Grund) der Ceylon-Reise habe ich das Gehör verloren – Nachwirkung, Spätfolge des Viperngiftes.
    Dennoch: wir haben nicht nur gemeinsam an Bühnenbildern, Theaterprospekten gearbeitet, wir haben auch ein veritables Gemälde vollendet: Gemeinschaftsarbeit von Gleichgesinnten.

    Ich wollte allerdings nicht nur malen, musizieren, dichten, und so hatte ich mich vor etwa 45 Jahren erneut anheuern lassen auf einem Frachtsegler mit Kurs auf Kapstadt. Dabei, wie üblich auf dieser Route: Zwischenlandung St. Helena, zum Auffüllen von Trinkwasser, zur Versorgung mit Proviant, zur Reparatur von Takelage (nach einem der unvermeidlichen Stürme).
    Ich habe die Ruhetage genutzt zu einem Besuch bei Napoleon. Wobei gleich angemerkt werden muss: Es war nicht leicht, zum streng bewachten Mann vorzudringen. Mein Vorwand und meine Begründung: Überreichen eines Geschenks. Es handelte sich um ein Fässchen Kölnisch Wasser, hergestellt hier in Altona, somit preiswerter als echtes Kölnisch Wasser: findigen Mitbürgern war es gelungen, das Rezept der Kölner zu analysieren, zu reproduzieren.
    Auf einem Maultier ritt ich hinauf zum windüberstrichnen Bergsattel mit Haus Longwood. Dort wurde ich von Napoleon bereits erwartet – in seiner Statistik, nicht persönlich. Er pflegte die Böllerschüsse zu registrieren, mit denen jedes am Horizont auftauchende Schiff
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher