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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden
Autoren: Émile Zola
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Gemüt herrschte.
    Die junge Frau behielt die beiden Freunde lange, verstand es sie in eine behagliche Stimmung zu versetzen, und so entspann sich bald eine gemütliche Plauderei, bei der den Dreien die Zeit rasch verging.
    Daniel merkte, daß sein Geheimnis nicht durchschaut worden war, und konnte also die Freude über die Verändrung, die mit Jeanne vorgegangen war, mit voller Gemütsfreiheit auskosten. Er hörte aus der Modulation ihrer Stimme die Liebkosungen heraus, die sie an den unbekannten Freund richtete, sah, wie ihre Augen sanft aufleuchteten, und war grenzenlos entzückt über diese Zeichen der ihm gewidmeten Liebe.
    Er nahm sich fest vor, sich damit zu begnügen. Die Wirklichkeit hatte etwas Schreckliches für ihn; bei dem Gedanken, daß er sich zu erkennen geben sollte, schauderte ihn, denn er fürchtete, daß es mit Jeannes Liebe dann aus sein würde.
    Aber mehr als diese Gedanken, die weit in die Ferne schweiften, beschäftigte ihn die unmittelbare Gegenwart. Jeanne saß da vor ihm, voller Herzensgüte und Liebenswürdigkeit, von dem herrlichen Traum erfüllt, den er ihr zugesand hatte, und über ihrer Betrachtung vergaß er Alles.
    Auch Georg war entzückt. An ihn besonders richtete die junge Frau ihre Rede, denn Daniel verhielt sich ziemlich schweigsam; er fürchtete, wenn er redete, den Faden seines schönen Traumes zu verlieren. Während er also schwieg, fragte Jeanne Georg nach seinen wissenschaftlichen Arbeiten, und so entstand eine lebhafte Sympathie zwischen ihnen. Schließlich mußte man sich aber doch trennen. Die beiden Freunde versprachen natürlich, bald wieder zu kommen, und versprachen es gern, denn beide ließen ihr Herz in dem traulichen, lauschigen Salon.
    Drei Monate lang schwelgte nun Daniel in lauter Himmelswonnen. Wo er ging und stand, weilte er im Traumland, in hohen, fernen Regionen. Seine Schmerz- und Wutausbrüche kamen nicht wieder; er begehrte nichts mehr und wünschte nur, daß es ihm vergönnt wäre, im Paradiese seiner verborgnen und zufriedenen Liebe ewig bleiben zu dürfen.
    Indessen hatte er dem Drange nicht wiederstehen können, von Neuem an Jeanne zu schreiben. Seine Briefe atmeten jetzt beruhigte Zärtlichkeit: »Leben wir so weiter,« so lautete ihr Hauptinhalt, »und möge ich für Sie das sein, was der Mensch der Gottheit gegenüber ist, Bitte, Anbetung, Demut und Liebkosung.« Er verwies sie auf den offnen Himmel und warnte sie vor der bösen Erde.
    Jeanne gehorchte den Weisungen dieses reinen Geistes, der Liebe zu einer Sterblichen gefaßt hatte. Sie nahm ihn zum Hüter an und sah in ihm eine unsichtbare Schutzwehr gegen alle Versuchungen.
    Daniel besuchte die junge Frau häufig und fand ein herbes Vergnügen an der absonderlichen Situation, die er sich geschaffen hatte. Nach jedem neuen Schreiben kam er, um auf Jeanne’s Gesicht die Empfindungen zu lesen, die es bei ihr erregt hatte.
    Er studirte die Fortschritte, die ihre Liebe machte, ohne an das Erwachen zu denken, das dem Traume folgen mußte. Sie liebte ihn, sie war voll von ihm und dies genügte ihm. Wenn er sich genannt, wenn er den Schleier gelüftet hätte, so wäre sie vielleicht vor ihm geflohen. Er war also noch immer ein schüchternes Kind von überzarter Gefühlsinnigkeit, das sich vor dem Licht der Oeffentlichkeit fürchtete. Die einzige Liebe, die ihm zusagte, war die heimliche Liebe zu Jeanne, bei der er nicht Gefahr lief, an sich selber zu zweifeln.
    Jetzt bat er Georg ihn zu Jeanne zu begleiten, denn er getraute sich nicht allein vor sie hinzutreten, weil er sich durch Stottern und Erröten verraten hätte, weil er glaubte, sie würde ihm die Gedanken von der Stirn ablesen. War sein Freund Georg zugegen, so konnte er sich absondern und ihn plaudern lassen, während er seinen Liebesträumen nachging.
    Während dieser drei Monate fühlte sich Georg mehr und mehr zu Jeanne hingezogen und schließlich empfand er für sie, so sehr er sich dagegen wehrte, eine so starke Liebe, wie man sie nur bei tiefinnerlichen, ernst angelegten Naturen findet.
    Aber er ließ seinen Gemütszustand Niemand wissen, nicht einmal Daniel und am wenigsten Jeanne. Hatte er doch die Wahrheit erst dann entdeckt, als es zur Flucht zu spät war. Da hatte er nicht mehr den Mut seiner ersten Liebe zu entsagen und suchte seine Angebetete recht häufig in ihrem blauen Salon auf, ohne sich zu fragen, wie die Sache enden würde. Bisweilen beobachtete er, daß Jeanne ihn prüfend ansah, als wollte sie in die tiefsten Falten
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