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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden
Autoren: Émile Zola
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zittert?
    Ich lebte droben so glücklich in meiner stummen Anbetung! Es wäre doch schön, wenn wir zusammen dort hinauf stiegen und uns im Schoße des Unendlichen liebten.«
    In diesem Tone fuhr Daniel noch lange fort, mit allerlei Wiederholungen. Ein einziger Gedanke erfüllte ihn: Er liebte Jeanne und Jeanne wollte einem Andern gehören! Um diese Idee drehte sich sein ganzer Brief, dies sprach er in allen möglichen Wendungen aus, in die er die flehentlichsten Bitten hineinwebte. Es war zugleich ein Glaubens- und ein Liebesbekenntnis.
    Jeanne hatte oft parfümirte Billetchen bekommen, in denen dieser oder jener Herr sich ihr zu Füßen legte. Diese Erklärungen, über die Sie nicht einmal mehr lachte, warf Sie gewöhnlich in den Papierkorb, ohne Sie zu Ende zu lesen. Daniels Brief erhielt sie früh des Morgens, kurz nach dem Erwachen aus dem Schlafe, in jener trüben Stunde, wo die Leidbedrückten vor dem Tageslicht erschrecken und sich sagen, daß ihr Elend jetzt für einen ganzen Tag von Neuem beginnt. Die junge Frau empfand daher eine tiefe Rührung, als sie die ersten Zeilen las. Das Papier zitterte in ihren Händen und Thränen feuchteten ihre Augen.
    Sie gab sich keine Rechenschaft über das Gefühl der Linderung und Beschwichtigung, das ihr ganzes Sein durchdrang, und las entzückt den Brief zu Ende, ohne zu fragen, ob sie recht oder unrecht daran thäte.
    Denn dieser Brief lebte, so zu sagen, in ihren Händen. Er redete zu ihr die Sprache der Leidenschaft, er offenbarte ihr die wahre, die ganze Liebe. Jeanne las nicht, sie glaubte den unbekannten Anbeter zu hören, seine Klagen und flehentlichen Bitten zu vernehmen. Das Papier, das sie in der Hand hielt, war für sie mit Blut und Thränen benetzt und sie fühlte ein Herz schlagen in jedem Satze, in jedem Worte.
    Ein Schauer der Erregung floß durch ihre Brust hin, und ihr Geist eilte in weite Ferne, um dem an ihn ergangenen Rufe zu folgen. Sie schwang sich in die Friedenswelt empor, aus der Daniels Stimme zu ihr herübertönte. Und während sie so emporstieg, läuterte sie sich durch die Religion der übermenschlichen Liebe und Hingebung.
    Da schämte sie sich ihrer Schwachheiten und beschloß die Einsamkeit, in der sie nicht mehr allein war, über sich ergehen zu lassen. Ein edles Begeisterungsfieber bemächtigte sich ihrer und ihr war, als umfächle sie lind und kosend ein Freundeshauch. Von nun an begleitete ein Geist den ihrigen und stärkte sie gegen Anfechtungen. Konnte man ihr auch noch Thränen abpressen, so wurden sie doch nicht mehr von ihrem Herzen geweint, denn nun fühlte sie Frieden und Hoffnung in ihrer Brust.
    Und unsägliche Freude durchbebte sie bei dem Gedanken, daß sie geliebt wurde, daß ihr Herz nicht mehr an Langeweile sterben würde. Die Welt lag jetzt in weiter Ferne unter ihr und die Männer im schwarzen Frack, die in ihrem Salon verkehrten, kamen ihr da unten in der dunklen Tiefe wie unheimliche Drahtpuppen vor. Sie lebte und webte ganz in ihrer Vision, in dem Gedanken an ihren Verehrer, der fern von ihr sein schweres Leid tragen mußte und ihr leidenschaftliche und tröstliche Worte zusandte.
    Dieser Verehrer hatte keine körperliche Wesenheit. Sie betrachtete ihn mit ihrer Phantasie, ohne die Umrisse der geliebten Seele zu bestimmen. Für sie war er noch nichts als die Liebe. Er war gekommen als ein Hauch, der sie in die Regionen des Lichts emporhob, und sie ließ sich davontragen, ohne das Verlangen, die Kraft kennen zu lernen, die sie in den Himmel versetzte.
    Daniel wagte acht lange Tage hindurch nicht, sich bei Lorin blicken zu lassen. Er wiegte sich in tausenderlei Chimären, fürchtete Jeanne rückfällig zu finden und dachte, es würde ihm dann nichts Andres mehr übrig bleiben als der Tod.
    Endlich wagte er es doch, zur größten Freude Georgs, der ihn natürlich begleitete. Dieses mal hatten sie das Glück einen Tag zu treffen, wo Jeanne allein zu Hause war; denn Lorin war wegen dringenden Geschäften, die ihm Sorge bereiteten, nach England verreist. Die junge Frau empfing also die beiden Freunde in einem kleinen, blau gehaltenen Salon, mit unbefangen heiterem Lächeln und liebenswürdigster Herzlichkeit.
    Schon bei ihrem ersten Anblick durchdrang unnennbare Freude Daniels Herz. Jeanne erschien ihm umgewandelt, wie verklärt. Sie trug ein weißes Cachemirekleid und empfing die Herren stehend. Auf ihrem Gesicht lag gleichmütige Ruhe; ihre Lippen bebten nicht mehr vor innrer Aufregung; man merkte, daß Friede in ihrem
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