Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Thränen flossen nicht mehr, die Fieberschauer waren vorbei. Wer vermöchte es zu erklären, was nun in diesem Wesen vorging? Daniel riß sich von dem Menschentum los und schwang sich in den unendlichen und absoluten Himmel der Liebe empor. Droben ermannte er sich zur höchsten Güte, zur vollkommensten Selbstverleugnung. Ein sanftes Gefühl durchdrang sein ganzes Sein; ihm war, als werde sein irdischer Leib leichter, und als danke ihm seine Seele, daß er sie von ihm befreie. Sein Denken ruhte, er gehorchte dem dunklen Drange, denn er begriff, daß die wahre Liebe in ihm einzog und in ihm ein großes Werk vollbrachte.
    Als es vollbracht war, lächelte Daniel wehmütig. Er war allen Torheiten dieser Welt abgestorben. Nun aber das Fleisch überwunden war, fühlte er, daß die Seele bald von hinnen gehen würde.
    Allmählich tauchte jetzt auch das Bild Frau von Rionne’s wieder vor seinem Geiste auf, und er fühlte sich bereit, den Wunsch der Dahingeschiednen zu erfüllen. Seine durchdringenden und klaren Augen sahen die Thatsachen wie sie waren, und sein Herz trieb ihn, das Opfer zu vollziehen.
    Er erhob sich und suchte Georg auf.
    Er trat vor ihn hin mit einem herzlichen Lächeln, und seine Hand zitterte nicht, während sie die des Freundes drückte. Nichts regte sich mehr in seinem ertöteten Fleische, er war nur noch Seele.
    Es war ihm klar geworden, daß Georg Jeanne leidenschaftlich liebte. Der Schleier war zerrissen, und er verstand jetzt vieles, was er früher nicht beachtet und in seiner Bedeutung erkannt hatte. Deshalb sprach er in dem Tone eines Mannes, der seiner Sache sicher ist, ruhig und liebevoll. Er kam, um selber seine Liebe vollends zu töten.
    »Lieber Freund,« begann er, »ich kann Dir jetzt das Geheimnis meines Lebens beichten.«
    Er erzählte ihm nun in schlichten Worten die Geschichte seiner Lebensaufgabe, sagte ihm, daß er Jeanne’s Vater und Bruder gewesen sei, erinnerte ihn an seine geheimen Sonntagsausflüge, erklärte ihm, weshalb er die Sekretärstelle bei Tellier angenommen, und warum er sich so gegrämt hatte über Jeanne’s Vermählung mit Lorin. Als die Triebfeder aller seiner Handlungen bezeichnete er seine Dankbarkeit gegen Frau von Rionne und stellte sich hin als einen uneigennützen Wächter, als einen Beschützer, dem alle menschlichen Schwächen fremd waren.
    »Heute,« schloß er mit gerührter Fröhlichkeit, »ist meine Mission zu Ende. Ich will jetzt meine Tochter verheiraten, Sie einem Manne geben, der ihrer würdig ist, und dann bleibt mir nichts weiter übrig, als zurückzutreten. Errätst Du, wen ich gewählt habe?«
    Georg, der seinem Freund tief bewegt zugehört hatte, erbebte vor Freude.
    »Vollende mein Werk,« fuhr Daniel fort. »Mache sie glücklich. Dir vermache ich meine Mission. Du liebst unsre teure Jeanne, also mußt Du die Seele der armen Toten beruhigen und trösten. Meine Tochter erwartet Dich.«
    Georg warf sich ihm, keines Wortes mächtig, um den Hals. Daniel erschien ihm wirklich als Jeanne’s eigentlicher Vater, und er blickte mit Bewundrung und Hochachtung zu ihm empor, denn er ahnte, daß ein übermenschlicher Odem in ihm wehte.
    Daniel war erstaunt, daß der Schmerz kein größerer war. Er fand Lindrung in seiner erhabnen Lüge. Auch erwähnte er noch die Briefe, die er an Jeanne geschrieben hatte, aber nur in unbestimmten Worten. Sein Herz schwieg ja, und er wollte nicht mehr an die Zeugen seiner Leidenschaft denken, die ihm fast aus dem Gedächtnis entschwunden waren.
    Georg, der sich einer wahren Kinderfreude hingab, schöpfte keinen Verdacht. Wie hätte er auch ahnen sollen, daß der Mann, der so liebevoll und so ruhig mit ihm sprach, eben noch fürchterlich gegen ihn gerast hatte!
    Nun erzählte er, wie sehr er Jeanne bewunderte und liebte, schwor David, er werde sie glücklich machen, und entwarf ihm eine begeisterte Schilderung all der Freuden, die er mit ihr kosten würde. Er konnte nicht müde werden, immer von neuem zu beschreiben, wie glücklich er sein werde.
    Daniel hörte ihm lächelnd zu, fürchtete aber doch, seine moralische Kraft möchte nicht mehr ausreichen, sich nun noch über das Glück seines Nebenbuhlers zu freuen, und sagte daher, als sie sich ausgesprochen hatten:
    »Nun alles erledigt ist, will ich mich ausruhen. Ich kehre nach Saint-Henri zurück.«
    Georg erhob lebhaften Einspruch und bat ihn, an seinem Glück wenigstens Teil zu nehmen. Aber Daniel schüttelte den Kopf:
    »Nein, ich würde Euch stören. Verliebte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher