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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden
Autoren: Émile Zola
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rührten diese in abgebrochnen Sätzen gestammelten Worte bis ins Innerste. Sie ergriff Daniels Hand und sagte:
    »Ich weiß, lieber Freund, daß Sie kein undankbarer Mensch sind. Ich behielt Sie im Auge und habe erfahren, wie erkenntlich Sie sich für alles zeigten. Sie brauchen also nicht nach Worten zu suchen, um mir zu danken; Ihre Thränen sind Balsam genug für meine Schmerzen.«
    Daniel hörte auf zu weinen und es trat eine kurze Pause ein.
    »Als ich Sie nach Paris kommen ließ,« hob dann die Sterbende wieder an, »war ich noch bei voller Gesundheit und gedachte, Sie Ihre Studien fortsetzen zu lassen. Aber da überraschte mich die Krankheit und Sie kamen, ehe ich Ihre Zukunft sicher stellen konnte. Es thut mir leid, daß ich meine Aufgabe nicht vollendet habe.«
    »Sie haben wie eine Heilige gehandelt,« fiel ihr Daniel ins Wort. »Sie schulden mir nichts, während ich Ihnen mein Leben und alles, was mir das Leben angenehm gemacht hat, verdanke. Die Wohlthat ist ohnehin schon eine zu große. Sehen Sie mich doch an, was für ein Kümmerling ich bin. Wie oft habe ich mich Ihretwegen meiner körperlichen Erbärmlichkeit und meiner Unbeholfenheit geschämt! So manches Mal — verzeihen Sie mir den bösen Gedanken — habe ich geglaubt, mein Gesicht würde Ihnen mißfallen und mich gescheut, mich vor Ihnen sehen zu lassen, weil ich fürchtete, meine Häßlichkeit könnte Ihre Güte gegen mich vemindern. Statt dessen haben Sie mich aber wie einen Sohn aufgenommen. Sie haben, trotz Ihrer Schönheit, einem mißgestalteten Kinde die Hand gereicht, das noch keiner hat lieben mögen. Je mehr ich verspottet und verschmäht wurde, desto mehr verehrte ich Sie, denn ich begriff, welche unendliche Herzensgüte Sie besitzen mußten, um bis zu mir herabzusteigen. Deshalb wünschte ich, als ich herkam, ich wäre ein hübscher Mensch.«
    Blanca lächelte über seine jugendliche Begeisterung, seine schmeichlerische Demut.
    »Sie sind ein Kind,« sagte sie.
    Sie versank eine Weile in Nachdenken. Dann suchte sie in der Dunkelheit Daniels Gesicht deutlicher zu erkennen und dachte, während das Blut wärmer durch ihre Adern rollte, an ihre Jugend.
    »Sie empfinden tiefer als Andre,« fuhr sie fort, »und deshalb wird das Leben rauh mit Ihnen umgehen.
    Ich kann in dieser meiner letzten Stunde nur zu Ihnen sagen: Bewahren Sie mein Andenken als einen Talisman. Ist es mir nicht vergönnt gewesen, Sie zu versorgen, so habe ich Sie doch glücklicher Weise in Stand gesetzt, Ihr Brod zu verdienen, den richtigen Weg zu gehen und dieser Gedanke tröstet mich einigermaßen, daß ich Sie so allein in der Welt zurücklassen muß. Denken Sie zuweilen an mich, lieben Sie mich, machen Sie, daß ich in jener Welt mit Ihnen zufrieden sein kann, so wie Sie hier mich geliebt und zufrieden gestellt haben.«
    Sie sagte dies so sanft, mit solcher Innigkeit, daß Daniel wieder die Thränen aus den Augen stürzten.
    »Nein,« rief er, gehen Sie nicht so von mir, stellen Sie mir eine Aufgabe. Mein Leben wird inhaltslos werden, wenn Sie plötzlich daraus verschwinden. Ich habe seit über zehn Jahren keinen andern Gedanken gehabt, als den Wunsch, Ihnen zu gefallen, Ihnen in Allem zu gehorchen; was ich bin, dazu habe ich mich nur im Hinblick auf Sie gemacht; Sie waren das Ziel, das mir immer und überall vorschwebte. Wenn ich nicht mehr für Sie arbeite, werde ich schlaff und feige werden. Wozu dann noch leben, wofür kämpfen? Sorgen Sie also dafür, daß ich mich aufopfern kann! Geben Sie mir Gelegenheit, Ihnen meine Dankbarkeit zu bezeigen.«
    Während Daniel sprach, erhellte gleichsam ein plötzlicher Gedanke Frau von Rionne’s Antlitz. Sie setzte sich aufrecht, noch stark genug, um gegen ihre Schmerzen anzukämpfen.
    »Sie haben Recht,« fiel sie rasch ein, »ich habe eine Mission für Sie. Gott selber hat Sie an mein Sterbebett hergeführt. Der Himmel hat mir den Gedanken eingegeben, Ihnen eine helfende Hand zu reichen, damit Sie einst mir zu Hülfe kommen sollten. Stehen Sie auf, lieber Freund, denn jetzt bin ich die Bittende, jetzt ist die Reihe an Ihnen, mir Trost und Schutz zu gewähren.«
    Als Daniel sich von den Knieen erhoben und auf einem Stuhl Platz genommen hatte, fuhr Sie fort:
    »Hören Sie mich an, ich habe wenig Zeit. Ich muß Ihnen Alles sagen. Ich habe gebetet, daß ein guter Engel zu mir kommen möchte, und ich will glauben, daß Sie dieser Engel sind, den mir Gott sendet. Ich habe Vertrauen zu Ihnen, denn ich habe Sie ja weinen
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