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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden
Autoren: Émile Zola
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Ihnen Schrecken ein. Aber als Mann werden Sie sich einst ihrer erinnern und dann werden Sie inne werden, was einer Frau für Leiden widerfahren können, und was ich von Ihrer Aufopferungsfähigkeit erwarte.«
    »Sie halten mich wohl für feige,« fiel ihr jetzt Daniel in die Rede, »Ich bin nur unwissend. Das Leben schreckt mich, weil ich es nicht kenne und es mir vollständig düster erscheint. Aber wenn Sie es verlangen, stürze ich mich kühn hinein. Reden Sie: Was soll mein Auftrag sein?«
    Blanca neigte sich näher zu ihm hin und sprach mit leiserer Stimme, als fürchte sie, ein Andrer könnte sie hören: »Sie haben mein Töchterchen gesehen, meine arme Jeanne, die eben dort spielte. Sie ist kürzlich sechs Jahr alt geworden und ich gehe von hier, ohne sie zu kennen, ohne zu wissen, ob sie den Keim des Glücks oder des Unglücks in sich trägt. Diese Ungewißheit verdoppelt meine Leiden und macht mir den Tod furchtbar. Denn indem ich das Kind allein zurücklasse, quält mich der Gedanke, daß es ihr vielleicht gehen wird wie mir: aber wer weiß, ob sie den Schlägen des Schicksals denselben Mut entgegensetzen wird, wie ich!«
    Die Sterbende machte hier eine Bewegung, als wollte Sie eine lästige Vision verscheuchen. »Ehedem,« hob sie wieder an, »lebte ich der süßen Hoffnung, daß ich immer um sie sein, daß ich an dem Glück ihrer Zukunft arbeiten und ihr Herz unterweisen würde. Dann, als ich den Tod herannahen fühlte, sah ich mich nach Jemand um, der an meiner statt diese Rolle bei ihr übernehmen sollte, aber ich habe Niemanden gefunden. Meine Eltern sind tot und wie hätte ich zu einer Freundin kommen sollen, bei dem einsiedlerischen Leben, das ich geführt habe? Mein Mann hat nur noch eine Schwester und die lebt in einem Taumel von Vergnügen, so daß Jeanne nichts Gutes bei ihr lernen würde. Was aber meinen Mann selber betrifft, so denke ich nur mit Schrecken daran, was aus meiner Tochter werden würde, wenn sie ihm in die Hände fiele. Gerade gegen ihn will ich das Kind verteidigen.«
    Sie hielt von neuem inne, ehe sie den Schluß zog.
    »Nun werden Sie also gemerkt haben, worin Ihre Aufgabe bestehen soll. Wachen Sie über meine Tochter, seien Sie sozusagen ihr Schutzengel.«
    Daniel kniete zitternd vor Erregung nieder. Er konnte nicht sprechen und statt aller Antwort, statt aller Danksagungen, küßte er Frau von Rionne die Hand.
    »Ich stelle Ihnen da eine sehr schwierige Aufgabe,« sagte sie noch, »und der Tod läßt mir nicht die Zeit zu überlegen, wie Sie ihr gerecht werden können. Ich mag auch nicht über die Schwierigkeit und Seltsamkeit Ihrer Rolle nachdenken. Hat aber der Himmel Sie hierher geführt und mir die Last vom Herzen genommen, so wird er auch in Zukunft gnädig sein. Er wird Ihnen eingeben, was Sie zu thun haben, er wird Ihnen die Mittel und Wege kund thun, daß Sie mir Wort halten können. Gedenken Sie nur meiner letzten Bitte und halten Sie sich brav. Ich habe Vertrauen zu Ihrer Treue.«
    Jetzt fand Daniel endlich die Sprache wieder.
    »Herzlichsten, herzlichsten Dank!« sagte er. »Nun werde ich wirklich leben. Wie gut Sie sind, daß Sie an mich gedacht, daß Sie mir Vertrauen geschenkt haben! So sind Sie bis zu allerletzt meine Wohlthäterin geblieben.«
    Blanca unterbrach ihn mit einer Handbewegung: »Lassen Sie mich ausreden. Der Stolz hat mich verhindert mein Vermögen gegen den Leichtsinn meines Mannes zu verteidigen. Ich habe ihm geringschätzig alles überlassen, was er verlangte. Gegenwärtig weiß ich nicht, wie es mit uns steht. Meine Tochter wird aber wahrscheinlich kein Vermögen haben und dieser Gedanke hat beinah etwas Angenehmes für mich. Schade nur, daß ich Ihnen kein Geld hinterlassen kann.«
    »Bedauern Sie das nicht,« rief Daniel. »Ich werde arbeiten und der Himmel wird weiter sorgen.«
    Die Kräfte der Sterbenden nahmen ab. Ihr Kopf glitt an dem Kissen herab und das Sprechen wurde ihr schwerer.
    »So, nun ist Alles gut,« sagte sie. »Ich habe mein Herz entlastet und kann ruhig sterben. Wachen Sie also über Jeanne und seien Sie ihr ein Freund. Sie werden sie gegen die Welt beschützen müssen. Folgen Sie ihr so nahe wie möglich auf Schritt und Tritt, halten Sie alle Gefahren von ihr fern; wecken Sie alle Tugenden ihres Herzens. Vor allen Dingen aber sorgen Sie dafür, daß sie eines ihrer würdigen Mannes Frau wird, dann werden Sie Ihre Aufgabe gelöst haben. Wenn man einen schlechten Menschen heiratet, so weiß ich, wie einsam man da steht und
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