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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden
Autoren: Émile Zola
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wieviel Energie dazu gehört, um nicht auf Abwege zu geraten. Was auch geschehen mag, verlassen Sie sie nicht. Denken Sie immer daran, daß Ihre gute Heilige auf ihrem Sterbebett Sie inständigst gebeten hat, Ihrer Mission treu zu bleiben. Schwören Sie mir das?«
    »Ich schwöre es,« stammelte Daniel, dessen Stimme die Thränen erstickten.
    Blanca schloß die Augen wie ein müdes Kind. Dann schlug sie sie langsam wieder auf. »Was ist dies alles schrecklich, lieber Freund,” murmelte sie. »Ich weiß nicht, was das Schicksal Ihnen vorbehält, aber mir ahnt, daß Sie auf große Hindernisse stoßen werden. Indessen der Himmel wird sorgen, wie Sie richtig gesagt haben. Küssen Sie mich.« Daniel beugte sich, fassungslos vor Schmerz, nieder und drückte seine bebenden Lippen auf Frau von Rionnes blasse Stirn. Sie hielt die Augen geschlossen und lächelte bei diesem Kuß der Treue und Liebe.
    Mittlerweile war die Nacht vollständig hereingebrochen und die Sterne glänzten am wolkenlosen Himmel. Da ließen sich Schritte vernehmen und die Kammerfrau kam mit einer Lampe herein. Sie trat an die Sterbende heran.
    »Ihr Herr Gemahl ist da, gnädige Frau.«
    Und während Daniel sich wieder in seine Fensternische zurückzog, trat heftig erschrocken Herr von Rionne in das Zimmer.
     

 
II.
    Blanca war in Südfrankreich, in der Umgegend von Marseille geboren. Als sie dreiundzwanzig Jahre zählte, hatte sie Herrn von Rionne geheiratet. Sie war eine edle Seele, die schon früh das Elend des Daseins vorausahnte und hatte sich vorgenommen, nie einen Fingerbreit vom Wege der Pflicht abzuweichen, nie ihrer Würde das Geringste zu vergeben. Ihre Tugend und Willenskraft, dachte sie, würden eine ausreichende Schutzwehr für sie sein. Deshalb bemühte sie sich nicht einmal, als sie ihrem Vater zu Gefallen heiratete, von Rionne’s Charakter näher kennen zu lernen. Sollte sie in der Ehe nicht glücklich sein, so dachte sie in ihrem naiven Stolze, würde sie zu dulden verstehen.
    Das Schicksal nahm sie beim Wort und stellte ihre Standhaftigkeit auf eine harte Probe, aus der sie mit Ehren hervorging. Von Rionne war ein Mann von liebenswürdigen, feinen Manieren und von eleganter Erscheinung, der auch in moralischer Hinsicht nicht zu dürftig veranlagt war und ein guter Mensch hätte sein können, der es aber vorzog, seinem schlechteren Ich zu gehorchen. Er war dem Laster gegenüber kläglich haltlos und feige, daneben aber voll edler Absichten, und voller Mitgefühl mit allen Leiden seiner Nebenmenschen. Er that das Böse mit klarem Bewußtsein, ohne sich im geringsten zu schämen, und er konnte auch das Gute thun, wenn er wollte. Nur schade, daß es ihm keinen Spaß machte.
    Anfangs sah er seine Frau nicht für voll an und spielte nur mit ihr, wie er es mit seinen Maitressen zu thun gewohnt war. Er fand sie reizend und ihre Anmut, ihre Tugend umwehte ein Duft, den er hier zum ersten Mal einsog. Aber es währte nicht lange, so bekam er sie überdrüssig. Er entdeckte allmählich in dem körperlich so zarten Wesen eine solche Willenskraft, einen so erhabenen Seelenadel, daß er sich beinah vor ihr fürchtete. Seine moralische Feigheit fühlte sich gedemütigt durch ihren unbezwinglichen Mut, so daß sich in seinem innersten Herzen ein gewisses Haßgefühl gegen sie regte. Von da an richtete er es, um sich vor Blanca keine Blößen zu geben, allmählich so ein, daß die Begegnungen zwischen ihnen selten wurden. Die unangenehmen Vergleiche, die sich in ihrer Gegenwart seinem schlechten Gewissen aufdrängten, störten doch zu sehr die Lustigkeit des seichten Genußmenschen. Er nahm also seine Junggesellengewohnheiten wieder auf, spielte, hatte Liebschaften, die an sein Herz und Hirn keine großen Zumutungen stellten, und bekümmerte sich so wenig wie möglich um seine Familie.
    Blanca hatte diesen Mann wirklich geliebt, wenn auch vielleicht nur während einiger Tage. Dann aber hatte Verachtung die Zuneigung verdrängt und wenn der Riß in ihrem Herzen auch zugeheilt war, so hatte er doch weiter geschmerzt, wie eine mit glühendem Eisen gebrannte Wunde. Denn wenn sie sich auf ihren moralischen Mut verlassen hatte, so tröstete er sie nicht über die Oedigkeit ihres Daseins hinweg. Wohl bewahrte sie sich ihre Selbstachtung und hielt sich fern von dem gemeinen Getriebe, das sie überall umgab; aber das Sehnen ihres Herzens würde durch ihre majestätische Einsamkeit nicht gestillt. Hätte sie ihr Leben wieder von vorn anfangen können, so wäre
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