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Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm

Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm

Titel: Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm
Autoren: Frank Demant
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Ich bleibe direkt hinter Ihnen. Hocken Sie sich einfach auf eine Bank. Und immer schön an die Pistole denken.“
    Herr Schweitzer dachte an nichts anderes. Er stieg aus und scannte die Umgebung. Es herrschte ein Trubel wie auf der Zeil während des Weihnachtsgeschäfts. Skateboarder, Radler, Flaneure mit und ohne Hund wuselten auf den Uferwegen herum. Aus den Gärten der Gaststätten drang das übliche Stimmengewirr herüber. Noch zwei, drei Autos mehr, dann müßte der Parkplatz wegen Überfüllung geschlossen werden. Kurzum, halb Frankfurt schien sich vorgenommen zu haben, auf Deibel komm raus der mediterranen Lebensweise zu frönen; auch in den Ländern rund ums Mittelmeer begann das Leben erst nach Sonnenuntergang. Das Thermometer zeigte noch immer über dreißig Grad an. Zu Herrn Schweitzers Leidwesen stagnierte auch die Luftfeuchtigkeit kurz vor der Grenze zum Gewitter. Jeder Schritt brachte einen neuen Schweißausbruch mit sich.
    Die erste Bank war von einem Liebespaar besetzt. Ohne dazu aufgefordert worden zu sein, steuerte er von sich aus auf die letzte Bank zu. Etwas weiter ab vom Schuß, so hat er es bestimmt gerne, der Esterházy, überlegte Herr Schweitzer und stampfte durchs hohe Gras.
    „Stop. Gut so. Setzen!“
    Eine geglückte Flucht, auch wenn er dabei hätte rennen müssen, wäre zwar besser gewesen, aber auch Sitzen hatte was. Mit einem lauten Schnaufer ließ sich Herr Schweitzer nieder. Zu seiner eigenen großen Überraschung war er nun ganz ruhig. Kein überhöhter Puls machte ihm mehr zu schaffen und auch seine Angst war wie weggeblasen. So wie’s aussah, lief alles nach Plan. Nach Esterházys Plan. Er nahm ihn als gegeben hin. Alles andere wäre auch immens illusorisch gewesen. Na gut, dann trinke ich halt meinen Schlaftrunk, wache morgen auf der Bank wieder auf, der Killer wird über alle Berge sein und das Leben wird seinen gewohnten Gang nehmen.
    „Schön hier, was? Ich sitze oft hier. Ich meine, ich habe hier oft gesessen. Im Sommer. Manchmal auch im Winter, ein paar Minuten.“
    „Ja, sehr hübsch, das Plätzchen“, bestätigte Herr Schweitzer, der hier schon oft vorbeigekommen war. Meist mit Maria, wenn sie zur Stärkung im Restaurant der Gerbermühle eingekehrt waren. Weiter waren sie selten spaziert, irgendwo dort hinten lag nämlich Offenbach. Und dorthin geht der Frankfurter nicht, sofern sein Sinn für Ästhetik nicht völlig verquer ist.
    Karel Esterházy hatte seinem Rucksack die Wasserflasche entnommen. „Es tut mir leid, aber es geht nicht anders. Sie müssen das jetzt trinken. Lassen Sie sich Zeit, es pressiert nicht.“
    Herr Schweitzer nahm die ihm dargebotene Flasche. Bevor er ansetzte, fragte er vorsichtshalber: „Und da sind wirklich nur die Schlaftabletten drin und kein anderer Chemie-Dreck?“
    „Ich schwöre. Nur die Tabletten. Sie haben mir doch dabei zugesehen.“
    Er fügte sich in sein Schicksal, das so schlimm nicht war. Noch nicht. Herr Schweitzer leerte die Flasche zu einem Drittel. „Iiih, schmeckt das scheußlich. Wie lange dauert es, bis die Wirkung einsetzt?“
    „Unterschiedlich. Kommt drauf an, ob Sie sonst auch regelmäßig Tabletten nehmen.“
    „Nein, nur bei Zahnschmerzen.“
    „Das ist gut. Ich würde sagen, in spätestens einer Dreiviertelstunde sind Sie weg vom Fenster.“
    Es mag einem grotesk vorkommen, wie einträchtig der Killer und Herr Schweitzer miteinander plauderten. Aber das Leben ist halt nicht schwarz-weiß, wie es Hollywood seinem Publikum suggeriert. Das wirkliche Leben besteht aus Zwischentönen und Grauschattierungen. Was Herrn Schweitzer betraf, so hatte er einfach keine andere Wahl, man bedenke die SIG Sauer, als das Spiel mitzuspielen, grotesk hin, grotesk her. Er nahm einen großen Schluck aus der Flasche.
    Die nächsten zehn Minuten saßen sie schweigend beisammen und betrachteten jeder für sich und in Gedanken versunken die noch immer in großer Zahl an ihnen vorbeischlendernden Menschen. Karel Esterházy sah sich in Rio bereits dem Flieger entsteigen, während Herr Schweitzer auf die Wirkung der Schlaftabletten wartete.
    Weitere fünf Minuten vergingen, die Flasche war restlos geleert, als sich ein wohliges Gefühl vom Magen ausgehend im Aushilfsdetektiv verbreitete. Wie bei einer Massage entspannte er mehr und mehr. Er streckte die Beine von sich und legte seine Hände in den Schoß. Hin und wieder machten seine Äuglein Anstalten, sich zu verabschieden. Aber Herr Schweitzer wehrte sich. Es war ein schönes
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