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Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm

Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm

Titel: Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm
Autoren: Frank Demant
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dem Fenster entfleucht. Stumm wie ein Fisch sah er dem Killer beim Packen zu. Den Tod vor Augen flüchtete sich Herr Schweitzer in bekannte und weniger bekannte Weisheiten.
    ‚Wer früher stirbt, ist länger tot’ – nee, nicht gut, gerade äußerst unpassend.
    ‚Leben und leben lassen’ – na ja, aber weiß das auch der Esterházy?
    ‚Das Leben besteht aus vielen Höhen und Tiefen, man darf nur nicht im Tief steckenbleiben’ – stimmt, im Tief steckte er, Leugnen zwecklos.
    Mitten in seine philosophischen Betrachtungen platzte Esterházys Frage: „Haben Sie auch Kinder?“ In der Hand hielt er einen Bilderrahmen.
    Von seiner Warte aus betrachtet, befand sich Herr Schweitzer nun in einer Zwickmühle, wie sie verzwickter kaum hätte sein können. Da war einerseits der Befehl, die Fresse zu halten, dessen strikte Einhaltung der Pistole wegen nachgerade existenziell geboten war, andererseits die nun höflich an ihn gerichtete Frage, deren Beantwortung genau so dringlich erforderlich erschien. Auch der Pistole wegen.
    Herr Schweitzer wäre nicht Herr Schweitzer, fände er keinen Ausweg. Lautlos schüttelte er den Kopf.
    „Dann können Sie auch nicht wissen, wie es ist, wenn einem das Kind vor den eigenen Augen krepiert.“
    Nein, wissen konnte er das nicht. Er überlegte, ob nun von ihm ein Kommentar erwartet wurde. Sicherheitshalber und auch weil sich die Methode bewährt hatte, schüttelte Herr Schweitzer seinen Kopf abermals.
    „Glauben Sie mir, es gibt nichts Schlimmeres auf der Welt.“
    Er nickte.
    „Von einem auf den anderen Tag liegt das ganze Leben in Trümmern.“ Karel Esterházy drehte den Bilderrahmen um, so daß Herr Schweitzer in das Gesicht eines kleinen Mädchens blickte. „Hier, sehen Sie, meine Tochter. Sandra. So hieß sie. Sandra. Totgefahren von diesem Auer. Finden Sie nicht auch, daß ich gar nicht anders konnte? Ach, was verstehen Sie schon davon.“
    Herr Schweitzer war natürlich heilfroh, angeblich nichts davon zu verstehen. So konnte er die Antwort schuldig bleiben.
    Der Killer wickelte das Bild in ein Handtuch und verstaute es bruchsicher zwischen Shirts und Hosen im Koffer. Nachdem er noch ein Paar Turnschuhe hineingelegt hatte, legte er den Deckel um und drehte am Zahlenschloß. Danach stellte er den Koffer auf den Boden und legte seinen roten Reisepaß sowie einen Umschlag auf den Tisch.
    Herr Schweitzer erkannte das Logo eines Reisebüros. Gerne hätte er den Inhalt gesehen. Nicht das Ziel wollte er in Erfahrung bringen, sondern das Datum des Abflugs. Schon seit jeher interessiert sich der Mensch für den eigenen Todeszeitpunkt. Nicht alle. Aber die meisten. Und Herr Schweitzer war gerade jetzt – sonst eher nicht – einer von den meisten. Das Abflugsdatum spielte dabei eine nicht ganz unwichtige Rolle. Denn wenn er, der Esterházy, tatsächlich vorhatte, ihn, Herrn Schweitzer, zwecks Ausrottung von Personen, die bei der Flucht ins Paradies hinderlich waren, zu eliminieren, so müßte dies stringent noch vor dem Abflug geschehen. Doch des Detektivs Wissensdurst blieb vorerst ungestillt.
    „Sie können sich jetzt ein wenig hinlegen und schlafen. Am späten Abend müssen wir fit sein. Da haben wir noch einiges vor.“ Der Killer setzte sich in den Sessel, legte die Beine auf den Tisch und machte es sich mit einem großen Kissen hinter dem Kopf gemütlich. Die SIG Sauer klemmte er unter den rechten Oberschenkel.
    Hä? Hat der sie noch alle? Wie soll ich jetzt schlafen können? Ich schwebe hier in höchster Todesgefahr und der Typ meint, ich könnte mich auf Knopfdruck von allem Unbill befreien. Der hat leicht reden. Na ja, sagte sich Herr Schweitzer, hinlegen kann ich mich ja mal. Auf den Pobacken balancierend hievte er seine geschnürten Beine unter dem Couchtisch hervor.
    Dann lag er und starrte die Decke an. Schön war sie nicht. Mehr so aus der Kategorie Schnäppchen. Schlichtes Holzimitat in einer hellen Farbe, der man schon von weitem die chinesische Kunststoffabrik ansah. Herr Schweitzer schloß die Augen und versuchte zu denken.
    Eigentlich hatte Esterházy nicht vor, den dicken Detektiv in Lebensgefahr zu bringen, geschweige denn, ihn mittels finalen Todesschusses … Asche zu Asche, Staub zu Staub.
    Eigentlich. Eigentlich ein komisches Wort, das eigentlich das Gegenteil von dem impliziert, was man ursprünglich, also eigentlich, gemeint hat. Der geneigte Leser spürt bereits, daß das mit Herrn Schweitzers Überleben eine sehr delikate Sache war. Und so war es
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