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Das Geheimnis meiner Mutter

Das Geheimnis meiner Mutter

Titel: Das Geheimnis meiner Mutter
Autoren: Susan Wiggs
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erfüllte die Luft. Die Musik von „Three 6 Mafia“ dröhnte aus dem Radio, ein Hinweis darauf, dass Zach heute Frühschicht hatte. Zwischen den Hip-Hop-Beats konnte sie das Summen der Mischmaschine hören.
    „Hey, Zach“, rief sie und reckte den Hals, um den Jungen zu finden.
    Er kam aus dem Bereich, in dem die Teige angemischt wurden, und schob einen Wagen mit frischem rohen Teig vor sich her. Zach Alger ging in die Highschool und arbeitete bereits seit zwei Jahren nebenbei in der Bäckerei. Ihm schien das frühe Aufstehen und Arbeiten nichts auszumachen, und jeden Morgen machte er sich nach der Schicht mit einer Tüte frischer Backwaren auf den Weg in die Schule. Er war ein schlaksiger, gut aussehender Junge, dessen weißblonde Haare und blaue Augen seine nordische Herkunft verrieten.
    „Stimmt was nicht?“, fragte er.
    „Ich konnte nicht schlafen.“ Sie war ein wenig verlegen. „Ist Laura da?“
    „Spezialbrote“, sagte er und machte sich dann wieder daran, die Wanne voller Teig in die Garkammer zu schieben.
    Laura Tuttle arbeitete bereits seit dreißig Jahren in der Bäckerei. Davon fünfundzwanzig als Meisterin. Sie kannte das Geschäft sogar noch besser als Jenny. Sie behauptete immer, die frühen Morgenstunden zu lieben und dass dieser Arbeitsplan perfekt zu ihrer inneren Uhr passe. „Sieh einer an, wer da ist“, sagte sie, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen.
    „Ich hatte Heißhunger auf eine Kolache.“ Jenny ging durch die Schwingtüren aus dickem Gummi in das Café, wo sie sich eine Tasse Kaffee eingoss und ein Gebäckstück vom Vortag aus der Auslage nahm. Dann kehrte sie in die Backstube zurück. Der Geschmack der Kolache breitete sich zwar vertraut auf ihrer Zunge aus, aber er konnte sie auch nicht beruhigen. Aus Gewohnheit nahm sie sich eine Schürze vom Haken.
    Jenny arbeitete selten in der Backstube mit. Als Besitzerin und Managerin lagen ihre Aufgaben mehr im administrativen Bereich. Im oberen Stockwerk hatte sie ihr Büro mit Blick über den Marktplatz, und über den Monitor einer Sicherheitskamera konnte sie stets sehen, was im Café los war. Die meisten Tage verbrachte sie damit, sich mit Telefonhörer am Ohr und fest auf den Computer gerichtetem Blick um die Bedürfnisse der Angestellten, Lieferanten, Kunden und verschiedenen Ämter zu kümmern. Aber manchmal, dachte sie jetzt, muss man einfach die Ärmel aufrollen und etwas Handfestes tun. Es gab kein besseres Gefühl, als die Hände in einen warmen, seidigen Teig zu tauchen.
    Sie zog sich die Schürze über den Kopf und gesellte sich zu Laura an die Arbeitsplatte. Die Spezialbrote wurden in kleineren Chargen hergestellt und von Hand geformt. Die heutige Auswahl würde aus einem traditionellen polnischen Brot mit Eiern, Orangenschale und Korinthen sowie einem von Laura erdachten Kräuterbrot bestehen. Sie und Laura arbeiteten Seite an Seite, kneteten und wogen Teig ab, obwohl sie das Gewicht aus Erfahrung auch so wussten.
    Auf der anderen Seite des Raumes erblickte Jenny den gekühlten Tortenschrank, der mit Torten ihrer Großmutter gefüllt war. Technisch gesehen waren das natürlich nicht Helen Majeskys Torten. Aber die Originalrezepte für die luftige Zitronenrolle, die glänzende Drei-Beeren-Tarte mit Baisergitter, den cremigen Buttermilch-Käsekuchen und all die anderen Köstlichkeiten stammten von Helen und waren Jahrzehnte alt. Ihre Techniken waren von einem Bäckermeister zum nächsten weitergereicht worden, und sogar jetzt noch, nach ihrem Tod, suchte sie die Backstube so liebevoll und herzlich heim, wie sie es zu ihren Lebzeiten immer getan hatte.
    Während sie den Teig zu dicken, runden Laiben formte, fühlte Jenny sich seltsam losgelöst von ihrem Körper. Sie schaute ihre weißen, mehlbedeckten Hände an und sah die Hände ihrer Großmutter, die den Teig in einem ruhigen Rhythmus kneteten, den Jenny von sich nicht kannte. Die Erkenntnis, dass ihre Granny tatsächlich von ihr gegangen war, setzte sich in ihrem Inneren fest. Es war drei Wochen, zwei Tage und vierzehn Stunden her. Jenny hasste es, so genau zu wissen, wie lange sie jetzt alleine war.
    Laura arbeitete unermüdlich und legte jeden eingeölten Laib in eine Backform. Sie nickte im Rhythmus der Hip-Hop-Musik, die aus dem Radio tönte. Ihr schien Zachs Musikgeschmack zu gefallen, auch wenn Jenny annahm, dass Laura nicht allzu genau auf den Text hörte.
    „Sie fehlt dir sehr, nicht wahr?“, fragte Laura. Sie war gut darin, die Gefühle und Gedanken anderer
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