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Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Titel: Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
Autoren: Tanja Heitmann
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von denen sie sich – aller Vernunft zum Trotz – umzingelt fühlte. Kälte breitete sich zwischen ihren Schulterblättern aus, gegen die weder Eriks Umarmung noch die Sommernacht ankamen.
    »Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob dieses Leben das richtige für mich ist«, flüsterte sie so leise, dass Erik sie nicht verstand. Aber vermutlich hätte er sie nicht einmal dann verstanden, wenn sie ihn angeschrien hätte …
    Mit einem Stöhnen schüttelte Greta diese Erinnerung ab. Schließlich kannte sie inzwischen die Antwort auf diese Unsicherheit. Unsere Beziehung war von Anfang an zum Scheitern verurteilt , gestand sie sich ein, während das anbrechende Tageslicht immer mehr Unrat am Waldsaum zeigte. Der schäbige Parkplatz passte perfekt zu ihrer Stimmung. Mit Not unterdrückte sie die aufsteigenden Tränen und ließ den Motor an.
    Ein Gutes musste sie der Autofahrerei ja zugestehen: Man kam kaum zum Nachdenken – zumindest wenn man eine so unerfahrene Fahrerin war wie Greta, der jeder Spurwechsel einen Schweißausbruch verursachte. Dann, kurz vor ihrem Ziel, geriet sie in diesen Endlosstau vorm Hamburger Elbtunnel. Zu Beginn war Greta noch erleichtert. Vielleicht war das ihre Chance, ihre Gedanken in Ruhe zu sortieren und einen Schlachtplan für ihre Ankunft in Meresund aufzustellen. Den würde sie nämlich auf jeden Fall brauchen, wenn sie ihrer Familie gegenübertrat – allein und sichtlich mitgenommen. Nachdem sie den Elbtunnel hinter sich gelassen hatte, konnte von einem Schlachtplan allerdings nicht einmal ansatzweise die Rede sein. Greta musste nämlich feststellen, dass Staus zwar Unmengen an Zeit kosteten, einen geistig aber trotzdem vollauf in Beschlag nahmen. Das galt besonders, wenn der Hintermann einen SUV fuhr und die Tatsache nicht akzeptieren wollte, dass der Stau für alle Teilnehmer galt.
    »Selbst wenn ich mich in Luft auflösen würde, wärst du nur ein paar Meter weiter«, brummte Greta gereizt in den Rückspiegel.
    Die Kühlerhaube des SUV sparte sich eine Antwort und begnügte sich damit, bedrohlich hinter ihrem Kleinwagen aufzuragen.
    In Gretas Schläfen begann es erneut zu pochen. Zu gern hätte sie die übertrieben laute Radiomusik für den Druck in ihrem Kopf verantwortlich gemacht. Die sollte sie eigentlich unterhalten, aber ganz gleich, wie weit sie den Lautstärkeregler nach rechts drehte, die Musik erreichte sie nicht. Nichts erreicht mich, ich fühle mich vollkommen festgefahren.
    Immer wieder tauchte ganz unvermittelt Eriks Gesicht vor ihren Augen auf: Vor Konzentration ganz eingefroren, wenn er Börsenkurse auf dem Handydisplay verfolgte, anstatt die Möhren fürs gemeinsame Abendessen kleinzuschneiden … Beim Schlafen entspannt und jung, trotz der vierzig intensiv gelebten Jahre, die sich hineingezeichnet hatten … Zu einer Maske erstarrt, sobald er sich in der Gegenwart von Gretas Freunden zu langweilen begann … Außer Kontrolle geraten, als sie ihm sagte, dass es vorbei sei.
    Es fehlte nicht viel, und Greta würde in Tränen ausbrechen. Nicht auf eine malerische Weise, bei der einem ein stiller Fluss über die Wangen lief, während sich kein einziger Muskel im Gesicht rührte, und auch nicht auf eine Mädchentour, bei der man am Ende nur ein Taschentuch brauchte, um den Schaden zu beseitigen. Wenn sie sich nicht zusammenriss, dann würde sie heulend über dem Lenkrad zusammensacken, am ganzen Körper geschüttelt und außerstande, das Elend mit einem Sack voll Taschentücher aufzufangen. Anschließend wären ihre eh schon überanstrengten Augen so zugeschwollen, dass sie bestenfalls auf den Seitenstreifen ausscheren konnte, von wo aus die vorbeirollende Kolonne sie dann beäugen würde. Sie, die Frau mit dem verquollenen Gesicht, dem wirr abstehenden Blondhaar und der blutverkrusteten Schramme auf der Stirn.
    Der Gedanke an die Schramme brachte Greta die dringend benötigte Ablenkung. Während sie die hässlich blau unterlaufene Linie im Rückspiegel betrachtete, überlegte sie ernsthaft, sich mit der Nagelschere einen Pony zu schneiden. Andernfalls würde sie zuhause erklären müssen, woher die Verletzung stammte, und sie verspürte nicht das Bedürfnis, gleich nach ihrer Ankunft mit dieser Geschichte herauszurücken. Die Verletzung stand für den Höhepunkt ihrer Auseinandersetzung mit Erik, den Höhepunkt nach einem extrem steilen Aufstieg. Gerade als sie, trotz des einschneidenden Gurts, nach ihrer Kosmetiktasche auf dem Rücksitz langte, klopfte jemand an ihr
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