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Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
Autoren: Antoinette Lühmann
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blickte er auf, wenn Nik das Zimmer betrat, um die Geschäftsbücher zu holen und seiner Mutter zur Hand zu gehen, die sich redlich bemühte, nicht zusammenzubrechen. Dann huschte ein hoffnungsvolles Lächeln über das Gesicht seines Vaters. Doch wenn Nik sich näherte, wischte die Enttäuschung es wieder fort, und sein Vater versank erneut in diesem furchtbaren Zustand, in dem er Tag für Tag mit offenen Augen ins Nichts starrte und das Leben an sich vorbeiziehen ließ. Auch heute wandte er den Blick von seinem Sohn ab und starrte wieder auf die Fensterscheibe, in der sich sein müdes Gesicht spiegelte.
    Leise verließ Nik das Zimmer und trat auf die Straße.
    Er setzte sich an das Ufer und ließ die Füße über dem Wasser des Kanals baumeln. Gedankenverloren kratzte er mit den Fingern kleine Steine aus dem Straßenpflaster und warf sie in die Gracht.
    Mit der Dunkelheit war Ruhe in die hektische Betriebsamkeit der Straßen eingekehrt. Das ständige Rumpeln der Räder auf dem Straßenpflaster und der Lärm der Handwerker waren verstummt. Das Wasser schwappte leise gegen das gemauerte Ufer und der Rauch und die Hitze des Tages standen träge in den engen Gassen.
    Eine Tür schlug auf, doch Nik drehte sich nicht um. Leise Schritte tappten über die Pflastersteine hinter ihm und Benthe setzte sich neben ihn. Im trüben Licht der Laternen glühten ihre roten Wangen von der Hitze des Ofens und sie roch nach süßem Teig.
    »Wie geht es ihm?«, fragte Benthe nach einer Weile.
    Nik schüttelte den Kopf.
    »Hat er immer noch nicht mit dir gesprochen? Es ist schon fast ein halbes Jahr her…« Benthe verstummte.
    »Morgen sind es sieben Monate.« Nik schleuderte einen faustgroßen Stein ins braune Wasser.
    In den letzten Wochen hatte Nik sich oft gewünscht, er könnte genau wie Benthe in den Tag hineinleben. Seine kleinen Brüder hatten sich auch nie um die Zeit geschert und jeden Morgen ein neues Abenteuer begonnen. Dabei träumten sie nicht wie Nik von der weiten Welt. Für sie war ein Haus, das mit orientalischen Gewürzen und kostbaren Stoffen angefüllt war, das Paradies. Und wenn sie doch einmal mehr Aufregung brauchten, trieben sie sich am Hafen herum, bis ein Arbeiter, der im Dienste ihres Vaters stand, sie am Kragen packte und zusammen mit den Waren im Hause des Händlers ablieferte.
    Nik seufzte. Ihm musste es genügen, für wenige Augenblicke am Morgen und am Abend auf das Meer hinauszusehen. Anstatt in See zu stechen und fremde Länder zu entdecken, musste er jeden Tag das Datum mit blauer Tinte in das dicke Warenbuch eintragen und dabei zusehen, wie die Zeit verrann und das Leben unbarmherzig seinen Lauf nahm, obwohl seine kleinen Brüder nicht mehr da waren.
    Benthe streckte die Hand aus und berührte Nik an der Schulter. Er lächelte. Ihr brauchte er nichts zu erklären. Sie saß neben ihm in der Stille der Nacht und wusste, wie er sich fühlte. Schließlich waren sie fast wie Geschwister aufgewachsen und mit keinem Menschen hatte Nik so viel Zeit verbracht wie mit Benthe.
    Hinter ihnen polterten mehrere Paar Stiefel über das Pflaster.
    Nik sah sich um. Luuk und seine Freunde kamen die Gasse entlang. Sie stießen sich an, lachten und reichten einen Krug Bier von einem zum anderen.
    Nik starrte auf das Wasser und hoffte, sie würden ihn nicht entdecken.
    »Nik und seine kleine Freundin!«, grölte Luuk und seine Freunde blieben lachend stehen.
    Benthe kümmerte sich nicht um die Jungen. Stumm starrte sie weiter auf das dunkle Wasser. Doch Nik sprang auf und drehte sich um. Die drei hatten ihn und Benthe schon einmal hinterrücks in die Gracht gestoßen. In dieser Nacht stand das Wasser tief, und sie würden Schwierigkeiten haben, wieder aus dem Kanal hinauszuklettern.
    Luuk trat einen Schritt auf ihn zu. »Stören wir das Liebespaar?«, fragte er und grinste.
    Nik ballte die Hände zu Fäusten, aber er schwieg. Luuk war einen Kopf größer als er und wie seine Freunde hatte er breite Schultern wie ein Hufschmied.
    Die Jungen waren gemeinsam mit Nik zur Schule gegangen. Doch während sie im Frühjahr ihre Lehre als Handwerker beginnen mussten, durfte Nik auf die Handelsschule gehen. Allerdings hatte ihn seine Mutter nach dem Tod seiner Brüder von der Schule genommen, damit er die Bücher führte und sie unterstützte, bis sein Vater die Geschäfte wieder selbst übernehmen konnte.
    »Nun bist du doch kein großer Seefahrer geworden, sondern nur ein Handlanger und Muttersöhnchen«, spottete Luuk.
    Die
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