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Das Geheimnis des Scriptors

Das Geheimnis des Scriptors

Titel: Das Geheimnis des Scriptors
Autoren: Lindsey Davis
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interessante Brocken bei den Magistratsedikten, den Testamenten berühmter Leute und den Gerichtsberichten – allerdings nicht oft. Die Acta Diura war instituiert worden, um die Tätigkeiten des Senats aufzulisten – ermüdende Dekrete und kriecherische Akklamationen, die ich automatisch übersprang. Manchmal zog ich das Hof-Zirkular zu Rate, wenn ich mit dem Kaiser sprechen musste und keine Zeit damit verschwenden wollte, auf dem Palatin rumzuhängen, nur um zu erfahren, dass er für ein Fest in die Villa seines Großmütterchens gereist war.
    Jetzt kam ich allmählich zum Ende, dem beliebtesten Teil. Hier fand man: Wunderkinder und Staunenswertes (die üblichen Blitzeinschläge und dreiköpfigen Kälber), Ankündigungen über die Errichtung neuer öffentlicher Gebäude (hm), Feuersbrünste (jeder liebt einen ordentlichen Brand in einem Tempel), Beerdigungen (für alte Frauen), Opferungen (dito), das Programm sämtlicher öffentlichen Spiele (für alle; der am meisten gelesene Teil) und Privatanzeigen von Wichtigtuern, die aller Welt mitteilen wollten, dass ihre Tochter sich mit einem Tribun verlobt hatte (langweilig! Na ja, langweilig, außer man hatte mit ebendieser Tochter getändelt – oder mit dem Tribun). Endlich kam ich zum besten Teil, den die Scriptoren diskret als »amouröse Abenteuer« bezeichneten. Skandale – mit den Namen der Beteiligten vollmundig enthüllt, denn wir sind eine offene Stadt. Betrogene Ehemänner müssen erfahren, was da vorgeht, damit sie nicht der stillschweigenden Duldung bezichtigt werden, was gesetzlich als Zuhälterei gilt. Und wir anderen haben auch gern ein wenig Spaß.
    Ich war enttäuscht. Wo die Klatschspalte hätte sein sollen, stand nur, dass Infamia, der Kolumnist, im Urlaub sei. Er war oft »im Urlaub«. Alle machten sich darüber lustig. Sagen wir es ungeschminkt: Man ging davon aus, dass die Senatorenfrauen, hinter deren Affären er gekommen war, ihm einen freien Ritt erlaubten, damit er die Schnauze hielt, aber die Senatoren, die davon erfuhren, heuerten Schläger an, um Infamia aufzuspüren – und gelegentlich erwischten sie ihn auch. »Im Urlaub« bedeutete, unser Lästermaul leckte mal wieder seine Wunden.
    Ohne saftige Geschichten, die mein Weitergehen hätten verzögern können, wurde ich bald von den recht mürrischen Scriptoren des Nachrichtendienstes befragt. Dachten sie zumindest. Ich hatte mehr Erfahrung. In Wirklichkeit befragte ich sie. Sie waren zu zweit – Holconius und Mutatus. Sie wirkten wie um die fünfzig, ausgelaugt vom jahrelangen Beklagen des modernen Lebens. Holconius, älter und anscheinend der Vorgesetzte, war ein düsterer, dünngesichtiger Stilusschubser, der zum letzten Mal gelächelt hatte, als die Geschichte über Kaiserin Messalina hereinkam, die ihre Dienste in einem Bordell feilbot. Mutatus blickte noch grimmiger. Ich wette, der hat nicht mal gekichert, als der Vergöttlichte Claudius sein Edikt verkündigte, Furzen sei bei Festmahlen legal.
    »Erzählen Sie mir von Ihrem Problem«, fasste ich nach und zog eine Schreibtafel heraus. Das machte sie nervös, und so legte ich die gewachsten Seiten auf mein Knie und ließ den Stilus ruhen. Sie berichteten mir, sie hätten den »Kontakt verloren« mit jemandem aus ihren Reihen, dessen Name, wie sie sagten, Diocles sei. Ich nickte und versuchte mir den Anschein zu geben, davon gehört und solche Mysterien natürlich schon zuvor aufgeklärt zu haben. »Seit wann wird er vermisst?«
    »Vermisst wird er eigentlich nicht«, wendete Holconius ein. Ich hätte schnauben können: Warum habt ihr mich dann herbestellt? Aber jene, die für den Kaiser arbeiten, imperialen Glanz auf alles schmieren – alles verdrehen, damit es gut aussieht –, haben eine besondere Art im Umgang mit Worten. Holconius musste alles, was er schrieb, zur Freigabe an den Palatin schicken, selbst wenn es eine einfache Liste der Markttage war. Dann wurde jeder himmlische Satz von irgendeinem Idioten so lange umgemodelt, bis jede Wirkung dahin war. Also ließ ich ihn pedantisch sein – diesmal. »Wir wissen, wohin er gereist ist«, murmelte er.
    »Und das wäre?«
    »Zu einer Verwandten in Ostia. Einer Tante, sagte er.«
    »Das hat er Ihnen erzählt?« Ich nahm an, »Tante« sei ein neuer Ausdruck für tolles Weib, aber Schlimmeres nicht. »Und er ist nicht zurückgekommen?« Also war das tolle Weib wohl zum Anbeißen. »Ist das ungewöhnlich?«
    »Er ist ein bisschen unzuverlässig.«
    Da keine weiteren
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