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Das Geheimnis des Nostradamus

Das Geheimnis des Nostradamus

Titel: Das Geheimnis des Nostradamus
Autoren: Uschi Flacke
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mit den Unterröcken raschelte leise, als die Arztfrau zur Seite trat. Marie wischte eine störrische Kupferlocke aus ihrem Gesicht und stakste zum Fensterbrett, denn die kleine Suzanne hielt immer noch ihre Wade umklammert. Jetzt hatte die Kleine die verknoteten Leinenstreifen an Maries nackten Füßen entdeckt und pulte mit ihren Fingerchen die zerfransten Enden auseinander.
    Marie beugte sich weit aus dem schmalen Fenster und schaute die Rue St. Georges hinunter. Dunkle Gestalten wankten aus der Ferne auf Agen de Provence zu. Sie schleppten Bündel, einige zogen beladene Karren hinter sich her. Maultiere waren voll bepackt mit Kisten und Säcken. Kinder hockten obenauf. Es war ein zerlumpter Trauerzug, der sich wie ein drohendes Unheil der Stadt näherte. Die Ersten hatten gerade den grob gemauerten Brunnen mit dem Feigenbaum erreicht. Sie stürzten sich auf die süßen Früchte, rissen sie von den Ästen und stopften sie in sich hinein. Andere ließen den Holzbottich in den Brunnen plumpsen, zogen ihn hastig wieder hoch und schütteten das frische Wasser in ihre ausgetrockneten Kehlen. Dunkle Flecken wuchsen auf ihren verdreckten Lumpen. Schmutzhände streckten sich gierig nach dem Bottich, der jetzt wieder im Inneren des Brunnens verschwand.
    Da wurde die Zimmertür aufgerissen und Michel Nostradamus stand vor ihnen. Der Blick seiner blaugrauen Augen schien sich suchend durch das düstere Zimmer zu tasten. Wie ein aufgescheuchtes Tier zuckte er hoch und fuhr sich erregt durch den kurzen Stoppelbart. Der viereckige, schwarze Doktorhut rutschte von seinem welligen Haar und taumelte zu Boden, während er plötzlich starr innehielt.
    Fast ehrfürchtig betrachtete Marie den Arzt, der weit über die Grenzen der Provence hinaus berühmt war. Hatte er doch zur Zeit der Pest Hunderten von Menschen das Leben gerettet.
    Jetzt bückte sich Nostradamus nach dem Hut, während er mit seinem Blick irgendetwas jenseits der Welten zu entdecken schien. Das flirrende Licht, das durch die bleiverglasten Fenster fiel, brach sich in seinen Augen wie in einem gewölbten Spiegel.
    Seltsam, dachte Marie. Ob die Augen wirklich die Eingangstür zur Seele sind? Viele Menschen sehen dich an, als wären sie durch ein unsichtbares Mauerwerk von dir getrennt. Sie wirken einfältig, vernagelt und blöde. Oder hochnäsig, vermessen und leer. Oder einfach nur fremd. Manchmal kommt es vor, dass tief in den Augen eines anderen etwas seltsam Vertrautes aufleuchtet. Der Blick verwirrt und macht dich taumeln, als würde er sich in dein Innerstes versenken. Aber bei Nostradamus war es, als würde hinter seinen Augen auch noch das uralte Wissen vergangener Zeiten verborgen liegen.
    Nostradamus schüttelte den Kopf, als wollte er ein Trugbild wegschleudern, und wandte sich zu René, der gerade mal einen Lenz zählte. Zärtlich strich er ihm über das flaumige Haar. Catherine sah ihn besorgt an. »Hast du das gesehen?«
    Nostradamus nickte. Sein Blick wanderte unruhig über die Wände, als suchte er irgendwo Halt. »Die ersten Flüchtlinge.«
    »Flüchtlinge? Ist etwa wieder die Pest ausgebrochen?«, fragte sein Weib erschrocken.
    »Nein, es sind die Auswirkungen des Krieges mit Kaiser Karl V. Der Süden der Provence wurde von unserem König Franz I. geopfert, um Piémont und Savoyen halten zu können. Dann die Dürre, die Missernten, der Hunger, die Hitze…« Mit besorgtem Gesicht schaute er aus dem Fenster, während er einen Umhang über die Schultern warf. »Aber keine Angst, die Schlachtfelder liegen noch weit entfernt.«
    »Du willst noch weg?«, fragte seine Frau leise.
    Er küsste flüchtig ihre Stirn. »Bei Monsieur Scaliger gibt es einen Austausch über die neuesten Entwicklungen im Land. Außerdem soll die Anhängerzahl der Lutheraner ins Uferlose wachsen. Die Menschen reden von Aufruhr.«
    Sein junges Weib zog fröstelnd die Schultern hoch und schaute zur kleinen Suzanne, die in sich versunken auf den Dielenbrettern hockte und mit ihren tapsigen Fingern Fädchen für Fädchen aus den Leinenstreifen zupfte.
    »Wird das so enden wie bei den Katharern?«, fragte Marie zaghaft. »Waren das auch so welche wie die Lutheraner?«
    »Die Katharer?« Ein Zittern huschte über die Mundwinkel des Arztes. Sein Blick weitete sich, als würde er in geheimnisvolle Welten abtauchen. »… Gläubige… Ungläubige… wer weiß…« Und sehr leise fügte er hinzu: »Wer kann sich schon anmaßen, der Hüter der Wahrheit zu sein.«
    »Aber was war mit ihnen?«,
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