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Das Geheimnis des Nostradamus

Das Geheimnis des Nostradamus

Titel: Das Geheimnis des Nostradamus
Autoren: Uschi Flacke
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tastete.
    »Aber er ist doch von katholischem Glauben!« Marie fuhr sich nachdenklich über die Sommersprossennase.
    »Ja, jetzt«, hauchte Catherine ihr ins Ohr. »Aber erst sein Großvater hat sich taufen lassen. In der Marienkirche ›Unserer lieben Frau‹, ›Notre Dame‹, daher der Name Notredame. Und Michel hat daraus, wie es heutzutage so üblich ist, die lateinische Form gemacht: Nostradamus. Aber kein Wort darüber!«
    »Ist es denn wirklich so gefährlich?«
    »Es gibt ein neues Edikt gegen Ketzerei. Selbst Christen, deren jüdische Vorfahren zum katholischen Glauben übergetreten sind, werden verfolgt und zu Hunderten verbrannt. Also! Das über Michels Vorfahren, das muss niemand wissen, gerade in der heutigen Zeit. Versprochen?«
    Marie nickte und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Viele der Flüchtlinge hatten sich inzwischen erschöpft im Schatten der Häuser niedergelassen. Einige schliefen und klebten wie erstarrte Lehmbilder an den Hauswänden, in Torbögen und Höfen. Verwundete Soldaten stützten sich erschöpft auf ihre Lanzen und Piken. Gegenüber wiegten zwei junge Weiber ihre wimmernden Kinder in den müden Lumpenarmen. Die Fäkalien, die sich in den Straßenrinnen sammelten, trockneten in der Nachmittagshitze. Ein schwelender Gestank zog zum Fenster herauf. Ein paar Häuser weiter erhob sich ein Greis mit zerzaustem Haar, streckte die Hände gegen das Firmament und sang mit verzerrter Stimme einen alten Kirchenchoral, der von dem leisen Schluchzen eines Kindes seltsam untermalt wurde. Ein übervoller Handwagen, der von zwei halbnackten Jungen gezogen wurde, holperte über das Kopfsteinpflaster. Nonnen in wehenden Gewändern stützten Gebrechliche, um sie zu den Armenhäusern zu führen und dort zu versorgen.
    »Ihr mögt diesen Scaliger nicht, stimmt’s?«, fragte Marie leise, als Catherine den kleinen René wieder in den Weidenkorb legte.
    »Seine Seele ist von Selbstsucht zerfressen«, antwortete die junge Frau mit spitzem Unterton. »Hast du mal von seinen bösartigen Briefen an Erasmus von Rotterdam gehört? Er rühmt sich ja sogar, dass Erasmus seinetwegen vor Kummer gestorben wäre und dass er andere Geistesgrößen völlig an die Wand gedrückt hätte.« Catherine schüttelte sich. »Nein, ich mag ihn nicht. Hoffentlich hat Michel nichts von ihm zu befürchten!«
     
     
    Als Marie spätabends die Eingangstür des Arzthauses hinter sich ins Schloss zog, um nach Hause zu laufen, fiel blasses Mondlicht auf Agen de Provence. Auf den Gehsteigen hockten zusammengekauert Flüchtlinge. Es roch nach Schmutz, altem Urin und Erbrochenem. Marie rannte an Bettelnden vorbei, die plötzlich ihre gierigen Hände nach ihr ausstreckten. Brennende Pechfackeln, die in Halterungen an Hauswänden befestigt waren, warfen bleiche, tanzende Lichtflecken auf die Rue St. Georges. An dem Torbogen des Hauses, in dem Madame Moulin als Magd arbeitete, saß zusammengekauert ein Lumpenweib. Wie entrückt wiegte sie ihren kleinen Buben, den sie fest an sich gedrückt hielt. Sie atmete ächzend, Schweiß stand ihr auf der Stirn. Die blassen Lippen waren schorfig aufgerissen. Jetzt schien sie kraftlos in einen tiefen, traumlosen Schlaf zu fallen. Als ihre Arme zuckten, sank das Kind langsam in ihren Schoß. Die dunklen Augen hatte es starr aufgerissen, an seinen Lippen klebten ein paar verkrustete Blutstropfen. Die Fingerchen waren seltsam verkrümmt.
    Aus der Ferne rumpelte ein Holzkarren heran, der von zwei Männern gezogen wurde. Leblose Körper wurden über den Boden gezerrt und hoch auf den Bretterwagen geworfen, um sie auf den Friedhöfen vor den Stadttoren zu begraben.
    In diesem Moment näherten sich lautlos zwei Kuttenträger dem Stadtbrunnen. Das Licht des Mondes fiel auf ihre gespenstisch bleichen Lippen, die verkrustete Narbe am Kinn des einen wölbte sich wie eine Geschwulst. Jetzt hatten sie die Brunnenmauer erreicht. Eine Ratte huschte aufgeschreckt davon und wuselte dicht an den Hauswänden vorbei geradewegs auf die alte Kapelle zu. Alles war wieder still. Nur ganz weit hinten war das Räderquietschen und Rumpeln des Leichenkarrens zu hören.
    Die beiden Prediger beugten sich über den Brunnenrand. Ihre schwarzen Gewänder breiteten sich wie Todesschwingen über das Mauerwerk. Die letzten Feigen hoch oben im Baum schimmerten wie eingetrocknetes Pech.
    »Hoffentlich reicht das Grundwasser«, dachte Marie, während sie in eine schmale Gasse bog, die von der Rue St. Georges abzweigte. »Bei all den
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