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Das Geheimnis des Nostradamus

Das Geheimnis des Nostradamus

Titel: Das Geheimnis des Nostradamus
Autoren: Uschi Flacke
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zuschlenderte.
     
     
    Die Sonne stand schon tief am Firmament, als Nostradamus Tinkturen und Salben, Ampullen und selbst gedrehte Pillen in seinen ledernen Arztkoffer packte. Endlich steckte er den gelöcherten Lederriemen durch die Silberschnalle und stellte die Tasche im Flur ab. Catherine holte frische Wäsche und Strümpfe, die sie auf dem Holztisch im Wohnzimmer stapelte. Ihre blassgrünen Augen waren leicht gerötet, blonde Haarsträhnen lugten wirr unter der Samthaube hervor. Geduckt huschte sie durch die düsteren Zimmer. Schmale Lichtstreifen, die durch die bleiverglasten Fenster fielen, schimmerten auf den blank polierten Holzdielen, als wollten sie das Leben in Licht und Schatten teilen. Jammernde Stimmen hallten von der Straße hoch, Peitschenknallen, dann wieder das schluchzende Weinen eines Kindes. Jedes Mal, wenn ein Karren über das Straßenpflaster ratterte, zuckte Catherine erschrocken zusammen.
    »Sie sterben vor Erschöpfung!«, sagte Michel leise. »Wenn ich nur wüsste, wie ich ihnen helfen kann! Ihre Körper sind sogar zu schwach, um Nahrung aufzunehmen.« Nachdenklich wiegte er seinen Sohn René auf den Oberschenkeln, der ihm mit seinen Händchen durch den kurzen Bart zauste. »Für euch besteht aber keine Gefahr! Außerdem bin ich bald zurück!«
    Die kleine Suzanne saß breitbeinig auf den Holzdielen. Die blonden Locken fielen über ihr gerötetes Gesicht. Andächtig faltete sie ihr neues Spielzeug, die zerrupften Leinenstreifen, zusammen, während sie ein seltsames Lied sang. Es war wohl eine alte Motette, die sie unten in der Kapelle gehört hatte, eine Melodie, die fremd und verloren durch das schattige Zimmer schwebte. Ihr Stimmchen war wie ein blasser, kaum hörbarer Laut, körperlos wie der Sommerwind, der abends über Lavendelfelder streicht. Als hätte die Tonfolge eine Saite in Nostradamus in Schwingung gesetzt, weiteten sich plötzlich seine Augen, bis er sie schmerzlich zusammenkniff. Etwas Vertrautes, Uraltes und Übermächtiges war an ihn herangetreten. Seine Gesichtszüge erstarrten wie zu einer Maske aus Wachs. Er spürte, wie er plötzlich in einen Strudel von Ereignissen gerissen wurde. Er versank in ein glühendes Rot, das ihn durcheinander wirbelte. Sirrende Töne zerrissen ihm fast das Trommelfell, dröhnten in seinem Schädel, als wäre sein Kopf eine steinerne Halle, an deren Wänden es tausendfach widerhallt. Die rot glühenden Wirbel umfassten ihn und formten sich zu einem brennenden Kreuz, das an den Enden hakenförmig spuckende Feuerzungen hinter sich herzog. Endlich verlangsamte sich das wirbelnde Feuerkreuz und brannte sich ihn ihm fest. Jetzt stampften aus einer blassgrauen, hoch gebauten Straße eintönig Schritte auf ihn zu, hohl und dumpf, rhythmisch bedrohlich. Wieder brannten diese roten Kreuze mit den Haken auf, aber jetzt auf flatternden Fahnen und hohen Häuserwänden. Männer in Uniformen und schweren Stiefeln stapften im Gleichschritt auf ihn zu. Blecherne Schutzhelme waren tief in ihre Stirn gezogen. Sie trugen fremdartige Gewehre und öffneten die Münder einsilbig im Gleichklang wie eine fremdgesteuerte Armee. Jetzt dröhnten Ungeheuer wie gigantische Urvögel durch die Luft. Sie waren ganz aus hartem Metall geschmiedet und senkten sich tiefer über die Stadt. Längliche Brut fiel aus ihren Leibern und explodierte mit beißenden Flammen. Rauch, Schreie, Feuer! Menschen am Boden, zerrissene Leiber, in Blut getränkt. Die Feuerhaken an den rot glühenden Kreuzen spuckten flammende Zungen, die sich heißhungrig an Häuserfassaden hochleckten, als wollten sie ganze Städte und Länder verschlingen.
    »Michel!« Eine entfernte Stimme fiel mit schimmerndem Licht in seine finsteren Vorahnungen. »Michel!« Jemand rüttelte von Angst getrieben seine Schultern. Das Schreien eines Kindes drängte sich zwischen das erneute Aufdröhnen der metallenen Riesenvögel. Die blutenden Leiber versanken im grauen Nebeldunst, die brennenden Fassaden verschwanden hinter einer fahlen Aschelandschaft, die glühenden Kreuze mit den Feuerhaken verblassten, bis flirrende Helligkeit alles unter sich begrub. Nostradamus taumelte in einem erlösenden Wirbel zurück in seine Welt. Alles drehte sich. Verwirrt kniff er die Augen zusammen, als würde er von hellem Licht geblendet: dicht vor ihm stand Catherine, dann Marie, die Wände zogen vorbei, da die bleiverglasten Fenster, dort die düsteren Ölgemälde, der Tisch mit dem frischen Rosenstrauß, alles schien sich noch wie in
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