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Das Geheimnis des Nostradamus

Das Geheimnis des Nostradamus

Titel: Das Geheimnis des Nostradamus
Autoren: Uschi Flacke
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einem ewigen Kreislauf weiterzudrehen. Der kleine René hockte auf seinen Oberschenkeln und schrie jämmerlich, während Catherine an seinen Schultern rüttelte. »Lass doch den Jungen los!«
    Nostradamus spürte, wie er den Leib des Kindes mit festem Griff umklammert hielt. Seine Fingerknöchel traten weiß unter der Haut hervor. Erschrocken ließ er los. »Komm, ruhig!«, flüsterte er. Seine Stimme klang gehetzt. Mit zitternden Fingern streichelte er dem Kind über das flaumige Haar. Dann sprang er auf, streckte seinem Weib den Sohn entgegen und griff nach der Gänsefeder, die auf dem Holztisch lag. Er tunkte sie in ein Tintenfässchen und kratzte Worte auf ein Stück Papier. Schweißtropfen perlten über sein erhitztes Gesicht. Marie verfolgte die Bewegungen seiner Hand. Wie besessen schrieb er weiter.
    »Großdeutschland einverleiben will er Brabant und Flandern, Gent, Brügge und Boulogne …
    Der Burgfriede ist geheuchelt…
    Der große Führer aus Armenien lässt Wien und Köln brennen …
    In dem Konflikt wird der Große, der wenig wert war, zuletzt doch noch das Wunder vollbringen…
    Während Hadrie sieht, was alles verloren ist, erschießt sich der Größenwahnsinnige beim Festmahl… Zwei auf dem Pflaster gegrillt.«
    Sein Ellenbogen schlug gegen den Steinkrug mit den frisch gepflückten Rosen. Wasser schwappte auf den Holztisch. Rote Blätter taumelten wie verletzte Schmetterlinge zu Boden. Gehetzt sprang er auf, packte das Schriftstück und verschwand in seiner Studierstube.
    Marie sah ihm nachdenklich hinterher. Was war das nur für eine Kraft, die sich seiner immer wieder bemächtigte? Oder vermochte er selbst durch seine ungewöhnliche Gabe in Visionen einzutauchen? Ob er wieder Einsicht bekommen hatte in diesen unsichtbaren Gürtel – wie er es nannte –, der um die Erde gelegt war und in dem sämtliche Ereignisse der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gespeichert waren? Hatte es wieder mit der »Essenz« zu tun, die mit den »leuchtenden Wassern« der Alchimisten zu vergleichen war und die von dem großen Arzt Paracelsus Aniadus bezeichnet wurde? Darüber hatte Nostradamus doch erst neulich in seinem Labor mit Scaliger debattiert, Marie hatte es wieder einmal nicht lassen können, heimlich an der Tür zu lauschen. Oder waren hier eher dunkle Mächte am Werk?
    Die kleine Suzanne bückte sich nach den Rosenblättern, tapste auf den Weidenkorb zu, der unter dem Fenster in einem Lichtfleck stand. Sorgfältig legte sie die roten Duftblätter auf das kleine Kopfkissen. Sie schimmerten in dem leeren Körbchen wie ein letzter Abschiedsgruß. Und wieder tanzten die hellen Töne der alten Motette durch das Zimmer, schwerelos wie aus einer vergessenen Welt.
    Als Suzanne und René zu Bett gebracht waren, tauchte das Abendrot den westlichen Himmel in feuriges Licht, als wäre der Horizont mit einem glühenden Band verschmolzen. Rot schimmernd fiel es durch das Bleiglas ins Wohnzimmer der Familie Nostradamus. Marie öffnete eins der Fenster. Nur ein paar blasse, purpurfarbene Schatten überzogen den Abendhimmel. Der Arzt hatte noch den Verkaufsladen geöffnet. Zerlumpte Flüchtlinge, sonnengegerbte Marktweiber, Dienstmägde und feine Herrschaften drängten sich bis auf die Gasse, um für ein paar Sous Heilsalben und Essenzen zu erstehen. Der Gestank von altem Schweiß und Urin vermischte sich mit getrockneten Kräutern und destilliertem Rosenöl. Keuchend schlurfte ein pockennarbiger Alter mit einem Salbentiegel auf die Straße. Ein Bauer flößte gerade seiner meckernden Ziege eine grünliche Tinktur ein. Fliegen surrten um ihren prallen Euter, während Straßenjungs versuchten, ihren weißen Pinselschwanz zu packen. In diesem Moment war Pferdegetrappel und Peitschenknallen zu hören, erwartungsvolle Aufschreie flogen durch die Luft.
    »Der Bischof von Agen, Jean von Lothringen«, wurde getuschelt. Marie warf ein Jäckchen über die Schultern und rannte nach unten. Sie kam gerade aus dem Arzthaus, als das Hufetrappeln sich auf dem Pflaster näherte. Menschen drängten sich auf den Trottoirs zusammen.
    »Ist der Bischof nicht einer der reichsten Kirchenfürsten in ganz Frankreich?«, raunte ein dralles Bauernweib einer jungen Spinnerin mit verhärmten Gesichtszügen zu.
    »Er ist der Reichste! Mit seinen unzähligen Erzbistümern!« Ein kräftiger Bursche mit fauligen Zahnstumpen im Mund spuckte aus. »So einen Prasser wie den hat es noch nie gegeben!«
    »Seine Feste sollen die verschwenderischsten im
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