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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings
Autoren: Marina Fiorato
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Wir konnten alle dem Alter nicht entfliehen. Enna war doppelt so alt wie ich, mochte ungefähr dreißig Jahre zählen, und ihre Zeit neigte sich dem Ende zu. Sie würde weniger und weniger verdienen und letztendlich verhungern oder von einem jener Kunden ermordet werden, die Gefahr und Gewalt beim Sex liebten. Nur eine weitere tote Dirne, die aufgedunsen im Arno treiben würde. Ich hob das Kinn. Mir würde so etwas nicht widerfahren. Ich war auf dem Weg zu Botticelli, um als Verkörperung ewiger Jugend festgehalten zu werden. Lächelnd tänzelte ich davon.
    »Besorgst du ein paar Bohnen zum Abendessen?«, rief Enna mir nach. (Ich vergaß zu erwähnen, dass meine Rivalin zugleich auch meine Mitbewohnerin ist.)
    Ich riss mich zusammen, hob den Rock und wedelte ihr mit dem Po ins Gesicht.
    »Besorg sie selber!«, fuhr ich sie an. Diesmal kicherten die anderen schadenfroh über Enna. Ich wandte mich ab, schüttelte im Geist ihren Schmutz von mir ab und bereitete mich auf höhere Dinge vor, als ich die Via Cavalotti hinunter auf das Haus von Signore Botticelli zuschlenderte.

4
    Hier sind die drei Fakten, die mir über Botticelli bekannt waren.
    Fatto uno : Sein eigentlicher Name lautete Alessandro Mariani Filipepi; den Spitznamen Botticelli verdankte er seinem korpulenten Bruder Giovanni, einem Pfandleiher, der in der Stadt nur Il Botticelli hieß, »das kleine Fass«.
    Fatto due : Botticelli war gebürtiger Florentiner. Er stammte aus Ognissanti, einem der ärmsten Viertel unserer Stadt. Nicht einmal ich wage mich dorthin, wenn es nicht unbedingt sein muss.
    Fatto tre : Er stand ganz oben in der Gunst der Medici. Sogar Signore Lorenzo de’ Medici, der Vater unserer Stadt, ein Mann, der den ehrenvollen Beinamen Il Magnifico trägt, meinte, die Sonne würde aus Botticellis Hintern scheinen. Anscheinend wimmelt das Castello der Familie, das man auf dem Hügel oberhalb von Florenz sehen kann, wenn die Bäume im Winter kein Laub tragen, von Botticelli-Fresken.
    Ein mächtiger, einflussreicher Künstler also. Aber ich war nicht nervös, als ich sein Atelier erreichte, ich sagte dem Diener, der mir die Tür öffnete, nur, dass ich gekommen sei, um mich malen zu lassen. Bei dem Jungen handelte es sich um einen Schwarzen, dessen Augen und Zähne hell in seinem Gesicht leuchteten, und als ich an ihm vorbeirauschte, warf er mir einen Blick zu, den ich nur zu gut kannte. Das Atelier selbst war hell, luftig und mit mehr Glasfenstern ausgestattet, als ich in ganz Florenz je gesehen hatte. Am Ende des Raumes stand eine schattenhafte Gestalt, von der ich jedoch kaum Notiz nahm, weil mein Blick von etwas anderem gefesselt wurde - etwas Großem, Rechteckigem und in allen Farben des Regenbogens Leuchtendem. Ich sah, dass das Gemälde fast fertig war, und ich war davon hingerissen. Sieben
Figuren, alle überlebensgroß, prangten auf dem hölzernen Untergrund. Über ihnen schwebte ein kleiner Amor. Das Bild ließ seinen Schöpfer, der vor dem Werk stand, kleiner erscheinen, als er war, und vor dem Hintergrund der leuchtenden Farben zu einer Silhouette verblassen. Ich bemerkte auch, dass Bembo es mit der Wahrheit nicht ganz genau genommen hatte; die achte Figur, Flora, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als eine gesichtslose Skizze war, stand etwas abseits von den anderen im Vordergrund des Bildes. Eine Art Madonna, die genauso aussah, wie ich mir meine Vero Madre im Geiste und meinen Träumen vorstellte, war die zentrale Figur. Das Rasenstück zu ihren Füßen war mit Blumen übersät, die auf dem Gras glitzerten wie vom Himmel gefallene Edelsteine. Sie wurde von drei weiß gekleideten, tanzenden jungen Mädchen und einigen anderen, vielleicht mythologischen Gestalten flankiert, die ich nicht kannte. Ich war von dem Bild sehr angetan und musste einen dementsprechenden Laut ausgestoßen haben, denn Botticelli drehte sich um und sah mich an.
    Er mochte vielleicht fünfunddreißig Jahre alt sein, sein schwarzes Haar fiel ihm bis auf die Schultern, und er sah recht gut aus, auch wenn er für einen Mann ziemlich klein war. Unsere Augen befanden sich auf einer Höhe, während er mich eingehend betrachtete. Er umfasste mein Kinn, bewegte meinen Kopf nach links und rechts und leicht nach vorn. Dann sah er mir in die Augen und lächelte. » Perfetto «, sagte er mit einem schweren Akzent, der einen merkwürdigen Kontrast zu der sich vor uns entfaltenden Schönheit bildete. Aber ich verstand ihn gut genug. Perfekt . Ich erwiderte sein Lächeln. Dies
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