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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings
Autoren: Marina Fiorato
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war heute schon das zweite Mal, dass mich ein Mann unaufgefordert berührt hatte, und wie bei dem Mönch erkannte ich sofort, dass Botticelli keine erotischen Hintergedanken hegte. Er wollte Flora, und ich war hier, um sie ihm zu verschaffen.
    Er bedeutete mir, mich fertigzumachen, und ich folgte seinem ausgestreckten Zeigefinger und zog mich hinter einen
Wandschirm zurück, wo ein Seidenbrokatkleid für mich bereitlag. Der schwere cremefarbene Stoff war über und über mit Blumen bemalt. Der Wandschirm legte den Schluss nahe, dass Botticelli nicht wusste, mit was für einer Art Frau er es zu tun hatte - ganz offensichtlich setzte er bei mir Sittsamkeit und Schamgefühle voraus. Er konnte ja nicht ahnen, dass ich mich in Sekundenschnelle mitten im Raum splitternackt ausgezogen hätte, ohne deswegen auch nur zu erröten. Ich streifte das Kleid über, schüttelte auf sein Geheiß mein Haar aus, sodass es mir offen über den Rücken floss, und trat vor - die Fleisch gewordene Flora.
    Ich merkte ihm seine Zufriedenheit an, obgleich er nicht viel sagte. Mir dämmerte, dass ich mich in der Gegenwart eines Genies befand, als er mich umkreiste und mir zeigte, welche Pose ich einzunehmen hatte. Am Fenster stand ein Krug mit korallenfarbenen Rosenblüten, mit denen er meinen Rock füllte. Er zählte sie sorgsam ab - zwanzig, dreißig und noch ein paar mehr - und arrangierte sie so, dass jede einzelne deutlich zu erkennen war. Dann wies er mich an, wie ich den Rock voller Rosen halten, die linke Hand darunterschieben und dabei den Daumen verstecken und die rechte Hand in die Blüten tauchen sollte, als wolle ich Blütenblätter auf dem Rasen verstreuen. Ich blieb regungslos wie eine Statue in genau dieser Haltung stehen, was ihn zu freuen schien. Zuletzt strich er mein Haar hinter meine Schultern zurück.
    »Ich sehe keinen Grund, ein solches Gesicht zu verstecken«, sagte er, woraufhin ich ihn zu mögen begann.
    »Jetzt zu Eurem Gesichtsausdruck«, fuhr er in seinem rauen Florentinisch fort. »Ich möchte, dass Ihr leise lächelt, als hättet Ihr Euch kurz zuvor noch im Bett vergnügt.« Vielleicht wusste er ja doch, welchem Gewerbe ich nachging. Ich dachte an die vergangene Nacht zurück, denn ich hatte Bembo beigebracht, wie er mir Genuss verschaffen konnte. Er kannte da diesen kleinen Trick mit der Zunge... Ich stellte mir vor, wie der Mönch dasselbe mit mir tat, und prompt stieg mir das
Blut in die Wangen, und meine Lippen kräuselten sich leicht. » Ezatto «, lobte Botticelli. Exakt. Und begann zu malen.
    Er malte den ganzen Tag lang, dabei sprach er kaum, und ich noch weniger. Zwar gestattete er mir, Pausen einzulegen und im Raum umherzugehen, aber dann bestand er unerbittlich darauf, dass ich meine Pose wieder einnahm, ohne auch nur die kleinste Kleinigkeit daran zu verändern. Ich beobachtete, wie sich die goldenen Lichtstrahlen, die durch das Fenster fielen, wie die Zeiger einer Sonnenuhr langsam bewegten, während die Schatten länger wurden und die sinkende Sonne die Temperatur im Raum ansteigen ließ. Endlich legte er Pinsel und Palette beiseite. Ich warf einen Blick auf das Bild und schlug die Hände vor mein Gesicht, um mich zu vergewissern, dass es sich immer noch dort befand, so perfekt war es wiedergegeben worden. Meine Miene spiegelte satte Zufriedenheit und zugleich eine stille Verschmitztheit wider. Das war keine gemalte Madonna, das war ich. Bembo hatte recht gehabt. Ich war ein schlagendes Herz, ein feuchtes Geschlecht, ein warmes, zerwühltes Bett.
    Flora eben.
    Das Kleid war bislang nur skizziert, meine Hände jedoch fertig.
    »Braucht Ihr mich nicht mehr?«, fragte ich, denn trotz meiner schmerzenden Glieder hatte ich den Tag genossen; hatte es genossen, zu einem Teil der Geschichte geworden zu sein.
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Das Kleid kann ich auch ohne Euch malen, solche Dinge lassen sich einfach bewerkstelligen. Ihr seid ein seltener florentinischer Schatz. Bembo hat mir nicht zu viel versprochen.«
    Jetzt war es an mir, den Kopf zu schütteln.
    »Ein seltener venezianischer Schatz«, berichtigte ich ihn lächelnd.
    Er hob die Brauen. »Tatsächlich? Ich war noch nie dort, habe aber viel von der Schönheit dieser Stadt gehört.«
    Nun nutzte ich die Gelegenheit, um meine Heimatstadt zu
preisen, obwohl ich nicht mehr von ihr wusste als Botticelli, denn ich war ja noch ein Säugling, als ich in besagte Flasche gesetzt und nach Florenz gebracht wurde. Deshalb nickte ich jetzt auch
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