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Das Geheimnis des Feuers

Das Geheimnis des Feuers

Titel: Das Geheimnis des Feuers
Autoren: Henning Mankell
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brachte, die am anderen Ende des Dorfes wohnte. Sie war zu alt um zu arbeiten. Aber sie kümmerte sich um Alfredo, bis Lydia am Nachmittag nach Hause kam. Wenn Maria Alfredo abgeliefert hatte, liefen sie zu den Äckern. Dort jäteten sie Unkraut und hackten, bis die Sonne mitten am Himmel stand. Sie aßen von dem, was Lydia und die anderen Frauen vorbereitet hatten. Dann liefen sie zum Fluss und wuschen sich, ehe es Zeit war aufzubrechen, damit sie nicht zu spät zur Schule kamen. Sie achteten genau darauf, dass sie immer auf dem Pfad blieben, und sie liefen, so schnell sie konnten. Wie sehr sie sich auch anstrengten, nie kam eine vor der anderen an. Sofia lief am schnellsten. Aber Maria war ausdauernder.
    Die Tage waren lang. Aber manchmal flüsterten sie noch miteinander drinnen in der Hütte, wenn Lydia und Alfredo schon eingeschlafen waren. Eines Abends, als sie dalagen, die Gesichter nah beieinander, fragte Maria, ob Sofia sich noch an ihr weißes Kleid erinnere. Sofia konnte sich sehr gut erinnern. Das weiße Kleid, das Papa Hapakatanda einmal mitgebracht hatte, als er in der Stadt gewesen war, die in der Nähe ihres Dorfes lag. Das Geld hatte nur für ein Kleid gereicht. Aber er hatte Sofia versprochen, dass sie auch eins bekommen würde, wenn er das nächste Mal Geld oder etwas zum Tauschen hatte. Das Kleid war dort geblieben in jener Nacht, als sich die Banditen angeschlichen hatten.
    »Manchmal träume ich, dass ich morgens aufwache und das Kleid ist hier«, flüsterte Maria.
    »Es ist wahrscheinlich verbrannt«, antwortete Sofia. »Aber wenn ich einmal Geld habe, werde ich dir ein neues kaufen.«
    »Woher solltest du Geld bekommen?«, fragte Maria. »Wo nicht mal Lydia Geld hat. Vergiss nicht, dass wir arm sind.«
    »Vielleicht fällt mir etwas ein, wie ich darankomme«, sagte Sofia. »Bestimmt nicht«, sagte Maria. »Ich verspreche es dir«, sagte Sofia. Nachdem Maria eingeschlafen war, dachte
    Sofia über das nach, was Maria gesagt hatte. Wie könnte es ihr gelingen Maria ein neues Kleid zu beschaffen? Sie hatte es versprochen. Maria würde ihr Versprechen nicht vergessen. Sofia wusste, dass sie es irgendwie halten musste. Das machte sie gleichzeitig böse. Sie wusste, dass sie Maria nur allzu leicht alles Mögliche versprach. Das war schon öfter passiert.
    Die Zeit, die es gab und die es doch nicht gab, verging. Wieder wurde der Mond voll. Mit jedem Tag wurde es wärmer und wärmer. Das Wasser im Fluss sank. Aber bald würde Regen vom Himmel fallen.
    Eines Tages, als sie schulfrei hatten und Maria mit Bauchschmerzen in der Hütte bleiben musste, erkundete Sofia die Umgebung. Die Hütten lagen in einem großen Gelände verstreut. Bisher hatte sie nur einen kleinen Teil davon gesehen. Am anderen Ende des Dorfes entdeckte sie einen Mann, der vor seiner Hütte saß und Kleider nähte. Er hatte eine schwarze Nähmaschine, die er treten musste. So eine Nähmaschine hatte Sofia schon einmal gesehen, damals in dem Dorf, in dem sie früher zu Hause gewesen waren. Die Nähmaschine hatte einem Inder gehört, der kurze Zeit versucht hatte vom Kleidernähen zu leben. Er hatte im Schatten eines Baumes gesessen und seine merkwürdige Nähmaschine getreten. Alle Kinder des Dorfes hatten darum herumgestanden und verwundert den Inder und seine Maschine betrachtet. Sofia war damals nicht mehr als fünf, sechs Jahre alt gewesen. Aber an die Nähmaschine konnte sie sich immer noch erinnern. Sie hatte gedacht, dass sie gern auf so einer Nähmaschine nähen lernen wollte, wenn sie einmal groß war.
    Nach kurzer Zeit hatte der Inder das Dorf verlassen. Seine Maschine hatte er mitgenommen. Die Dorfbewohner waren viel zu arm um seine Kleider zu bezahlen. Sofia erinnerte sich daran, wie traurig sie gewesen war, als er das Dorf verließ. Die Nähmaschine hatte er sich auf den Rücken geschnallt. Jetzt sah sie so eine Nähmaschine wieder. Sie sah genauso aus wie die des Inders. Sofia blieb stehen und guckte zu, wie der Mann trat und nähte. Als er von seiner Arbeit aufschaute und sie bemerkte, schlug sie die Augen nieder und dachte, dass sie eigentlich gehen musste. Aber der Mann lächelte und nickte ihr zu. Vorsichtig wagte sie sich näher heran. Er hieß Antonio, wurde aber Totio genannt. Er war alt und zahnlos. Drinnen in der Hütte hinter ihm war seine Frau Fernanda. Ihre Kinder waren erwachsen und hatten eigene Familien. Totio und Fernanda waren auch vor den Banditen geflohen. Sie hatten alles zurückgelassen, nur die
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