Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken
Autoren: Daphne DuMaurier
Vom Netzwerk:
klammerten sich um seine. Meine waren feucht von Schweiß, seine waren kühl.
    »Wie hast du den Weg hier herauf gefunden?« fragte er.
    »Die Tür«, sagte ich. »Die verborgene Tür hinter dem Wandbehang. Ich erinnerte mich an sie.«
    Seine Augen, eben noch forschend und voller Staunen, lachten. »Eins zu null für dich«, sagte er. »Damit habe ich nicht gerechnet. Armer Beato …«
    Dann fügte er stirnrunzelnd hinzu, indem er mich mit dem Arm zu stützen suchte: »Du hättest besser daran getan, dich auf Marcos Boot abzusetzen. Darum habe ich dich zu ihm geschickt. Dies ist nicht deine Sache. Das wurde mir am Mittwoch plötzlich klar.«
    Unten vor dem Eingang zum Palazzo Ducale jubelten sie immer noch, und inzwischen hatte sich der Jubel bis zur Piazza del Mercato unterhalb der Türme fortgepflanzt. An Aldo gepresst, sah ich nichts als den Himmel. Der Stimmenlärm stieg von allen Seiten zu uns herauf. Offenbar strömten die Studenten von der Piazza Maggiore zur Piazza del Mercato hinunter, die beträchtlich tiefer lag.
    »Es hat keinen Kampf gegeben«, sagte ich. »Du hast dich verrechnet. Deine Brandreden waren in den Wind gesprochen. Hör dir diesen Jubel an.«
    »So habe ich es mir auch gedacht«, sagte er. »Aber es hätte anders ausgehen können. Wenn wir mit den Pferden kaputtgegangen, wenn die Dinge schiefgelaufen wären, würden sie sich jetzt wechselweise umbringen und einander der Sabotage bezichtigen. Es war ein Lotteriespiel.«
    Ich starrte ihn verständnislos an.
    »Du hast das alles in voller Überlegung getan?« fragte ich. »Du hast sie bis zur Weißglut aufgehetzt und mit Hunderten von Leben gespielt, auch mit deinem eigenen, nur um der fragwürdigen Chance willen, daß Claudios Tat sie vorübergehend versöhnen könnte?«
    Er sah mich lächelnd an: »Nicht gar so vorübergehend«, sagte er, »du wirst es noch erleben. Sie haben Blut gerochen. Das ist es, was sie wollten. Und die ganze Stadt auch. Jeder, der uns heute fahren sah, war mit Leib und Seele bei der Sache. Das ist das Abc jeder Regie: sein Publikum zu einer Einheit zu verschmelzen.«
    Indem er mich festhielt, dirigierte er mich etwas näher an die schmale Brüstung heran. Ich klammerte mich an seinen Arm und schaute auf die Piazza del Mercato unter den Stadtmauern hinunter. Der große Marktplatz war schwarz von Leuten und auch die Straßen, die auf ihm zusammenliefen. Aber auch unmittelbar unter uns, auf dem sanft abfallenden Glacis des Palazzo, standen in dichten Trauben die Studenten, die Köpfe emporgereckt.
    »Sollte meine zweite Unternehmung aus irgendeinem Grunde scheitern, was nicht anzunehmen ist«, sagte Aldo, »mußt du wissen, daß du mein Erbe bist. Es steht dir zu. Ich habe am Mittwochabend, nachdem du mir den Brief gabst, mein Testament gemacht und es von Livia Butali und dem Präsidenten beglaubigen lassen. Das Testament besagt, daß wir Brüder sind. Ich war zu eitel, um etwas anderes zuzugeben.«
    Jetzt, da die Studenten, die sich bisher am Palast aufgehalten hatten, zu den Massen weiter unterhalb gestoßen waren, kam der Schrei »Donati« von der Piazza del Mercato heraus. Sie mußten uns auf unserem Sims unter dem Türmchen entdeckt haben, denn das Rufen und Jubeln schwoll noch an.
    »Du hattest recht in der Vermutung, daß ich das Gesicht verloren hatte«, sagte Aldo, »aber du warst im Irrtum, als du mich anklagtest, die böse Zunge zum Schweigen gebracht zu haben. Der Dieb in Rom hat gestanden. Er hat gestohlen und auch getötet. Der Kommissar rief mich gestern abend an. Die Polizei war gar nicht ernstlich hinter dir her. Sie war nur neugierig …«
    »Du hast Marta nicht getötet?« stammelte ich, überrascht und beschämt.
    »Ja, ich habe sie getötet«, sagte er, »aber nicht mit einem Messer. Das Messer war barmherzig. Ich tötete sie, indem ich sie verachtete, weil ich mich in meinem Hochmut nicht mit der Tatsache abfinden wollte, daß ich ihr Sohn war. Würdest du nicht auch sagen, daß das in die Rubrik Mord fällt?«
    Aldo war Martas Sohn? Damit wurde alles klar. Die Mosaiksteine fügten sich zum Muster zusammen. Der Findling war – mit seiner Mutter als Kindermädchen – ins Haus meiner Eltern gekommen. Der Findling hatte den Platz des Kindes eingenommen, das meinen Eltern gestorben war. Die Mutter blieb, nahm erst Aldo in ihre Obhut und später mich. Und sie behielt ihr Geheimnis für sich bis zu Aldos Geburtstag im letzten November, als sie – einsam, wie sie sich fühlte – in einem jähen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher