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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken
Autoren: Daphne DuMaurier
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ihn fest! Haltet ihn fest!« schrie ich. Aber Giorgio schüttelte nur lachend den Kopf.
    »Das gehört zum Programm«, sagte er, »es steht alles im Buch. Er wird vom Palazzo aus zu der Menge auf der Piazza del Mercato sprechen.«
    Ich riß Kostüm und Perücke herunter und warf sie fort. Dann sprang ich aus dem Wagen und lief hinter Aldo her. Der Klang des Gelächters und der Zurufe war mir auf den Fersen.
    Domenico versuchte mich zu stoppen; aber ich schüttelte seine Hand ab und lief durch das Seitenportal, dann die Passage entlang und durch den Innenhof.
    Ich hörte Aldo die Treppe zur Galerie hinaufrasen und raste hinterher. Dann stürzte er durch die große Tür in den Thronsaal hinein. Er lachte, während er lief. Ich hatte ihn fast eingeholt, aber er schlug die schwere Tür hinter sich zu, und als ich sie wieder aufgestoßen hatte, war er schon durch den Thronsaal ins Zimmer der Cherubim und weiter geflüchtet.
    »Aldo …« rief ich, »Aldo …«
    Aber das Zimmer der Cherubim war leer. Auch das Schlafgemach und der Ankleideraum des Herzogs waren leer und die kleine Kapelle unter dem rechten Turm. Plötzlich hörte ich Stimmen und lief zum Balkon zwischen den Türmen hinüber. Dort stand Signora Butali mit dem Präsidenten und schaute auf die Piazza del Mercato hinab, die tief unter ihnen lag. Die beiden starrten mich mit unverhohlenem Erstaunen an, als ich sie so plötzlich überfiel, und die Signora machte ein ängstliches Gesicht.
    »Was ist geschehen?« fragte sie. »Wir hörten die Hochrufe in der Stadt. Ist alles vorüber?«
    »Wie sollte es vorüber sein?« sagte der Präsident. »Donati hat uns selbst gesagt, daß auf die Flucht des Falken das Finale folgen würde. Wir haben bisher noch kein Finale gesehen.«
    Er sagte es verwirrt und enttäuscht, als habe man ihn um ein großes Schauspiel betrogen.
    Ich ließ ihn und die Signora einfach stehen und lief vom Balkon durch das Studierzimmer zum Audienzraum, der gleichfalls leer war.
    Als ich wiederum nach Aldo rief, kam plötzlich Carla Raspa von der Galerie draußen herein. Sie streckte die Hände nach mir aus und lachte und weinte zugleich.
    »Ich habe euch vom Fenster aus gesehen«, sagte sie, »es war grandios, es war wunderbar. Ich habe euch beide zur Piazza Maggiore fahren sehen. Wo ist er?«
    Heute waren weder Museumswärter noch Führer zu erblicken. Unbewacht stand das ›Porträt einer adeligen Dame‹ auf seiner Staffelei.
    Der Wandteppich hing an seinem üblichen Platz. Ich zerrte ihn beiseite und riß die dahinter verborgene Tür auf. Dann begann ich, mich mit Hilfe beider Hände die enge Wendeltreppe emporzutasten. Während ich kletterte, rief ich verzweifelt nach Aldo.
    Das gleiche Schwindelgefühl, die gleiche Übelkeit, unter denen ich als Kind gelitten hatte, überkamen mich. Ich konnte die Augen nicht aufmachen. Ich konnte nur die Spirale der Stufen über mir abfühlen. Hinauf, hinauf, immer höher hinauf, mit zerspringendem Herzen und rebellierendem Magen und dem klebrigen Staub der Jahrhunderte auf den Händen. Ich hörte mich selbst schluchzen, während ich weiterkroch. Und ewig würde der Turm unerreichbar für mich sein.
    Die Zeit stand still, und ich konnte nichts mehr denken. Ich bestand nur noch aus dem Zwang weiterzuklettern, gleitend und stolpernd zwischen Himmel und Hölle. Dann hob ich den Kopf und fühlte den Luftzug auf meinem Gesicht. Die Tür zur Balustrade über mir stand offen. Wieder schrie ich »Aldo!« und machte zum ersten Mal die Augen auf, seitdem ich begonnen hatte, die Wendeltreppe zu erklimmen. Das sonnendurchglänzte Stück Himmel über mir blendete mich. Ich glaubte die ausgebreiteten Flügel eines Vogels zu sehen, dessen Körper die Türöffnung verdunkelte. Mir war taumelig vor Übelkeit, und ich klammerte mich blindlings an die oberste Stufe.
    Ich blickte mich um, ohne etwas zu sehen.
    Die Tür war nur halb so groß wie die, an die ich mich aus Kindertagen dunkel erinnerte, und das schmale Sims davor, das ins Leere ragte, war nicht die Balustrade, auf die wir zu klettern pflegten. Es war nicht rund, sondern achteckig. Und plötzlich begriff ich. Ich hatte die Balustrade hinter mir gelassen. Dies war die kleinere Brüstung unter der Fiale.
    Ich fühlte seine Hände. Er zog mich von der Treppe auf die Brüstung.
    »Bleib ganz still liegen«, sagte Aldo. »Wenn du in die Tiefe schaust, wirst du fallen.«
    Ich hatte den Eindruck, daß das ganze Türmchen schwankte, oder auch der Himmel. Meine Hände
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