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Das Geheimnis der Schwestern

Das Geheimnis der Schwestern

Titel: Das Geheimnis der Schwestern
Autoren: Kristin Hannah
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ein einziger Anruf gekommen. Gegen neun schließlich warf Aurora einen Blick auf ihre Armbanduhr und sagte: »Tja, ich schätze, wir haben hier lange genug rumgesessen. Ich fahr jetzt mal.«
    Als Aurora verschwand, ging Vivi Ann wieder ins Haus, um Noah anzurufen. Als ihr Telefon kein Freizeichen von sich gab, entdeckte sie nach kurzer Untersuchung, dass das Kabel ausgestöpselt war. Verärgert schloss sie es wieder an und rief Noah auf seinem Handy an. Erst nach einer ganzen Weile meldete er sich.
    »Hey, Mom. Ich habe schon versucht, dich anzurufen.«
    »Ich weiß. Tut mir leid. Irgendwie war das Telefon ausgestöpselt. Bist du schon auf dem Heimweg? Morgen ist Schule.«
    »Äh. Ich … habe den ganzen Tag Tante Winona geholfen, den Speicher auszuräumen, und wir sind immer noch nicht fertig. Könnte ich bei ihr übernachten? Sie bringt mich dann morgen zur Schule.«
    »Ich möchte sie mal sprechen.«
    Winona kam ans Telefon. »Ich bin wirklich hier, und alles ist in Ordnung. Morgen würde ich ihn pünktlich zur Schule bringen.«
    Am liebsten hätte Vivi Ann abgelehnt und verlangt, dass ihr Sohn nach Hause kam, aber da der Grund ihre Einsamkeit war, sagte sie: »Na gut. Sag ihm, ich hab ihn lieb.«
    »Aber sicher.«
    Danach rollte sie sich auf dem Sofa zusammen, steckte sich Kopfhörer in die Ohren und stellte die Lautstärke ihres iPods hoch. Als ihr schließlich die Augen zufielen, ging sie ins Bett. Es war ein komisches Gefühl, allein zu Hause zu sein. Sie hörte lauter unbekannte Geräusche. Zum ersten Mal stellte sie sich vor, wie es sein würde, wenn Noah erwachsen und aus dem Haus wäre. Wie still es dann hier im Cottage sein würde.
    Sie seufzte und nickte ein.
    Einige Zeit später wurde sie von einem steten Pa-dumm, Pa-dumm geweckt. Es war ein gedämpftes, gleichmäßiges Geräusch, wie etwa ein Schaukelstuhl auf festgestampfter Erde. Oder ein Mann, der in der Dunkelheit ritt.
    Dallas. Sie gab sich ihren Erinnerungen hin und ließ sich von ihnen in eine andere Zeit ziehen.
    Dann erkannte sie, dass es kein Traum war. Das Geräusch war real. Sie schrak auf, warf die Bettdecke zurück, stand auf und griff nach dem Bademantel am Fußende. Sie streifte ihn über, zog den ausgefransten Gürtel zu und ging angestrengt lauschend durch das stille Cottage.
    Schließlich öffnete sie die Flügeltür, trat auf die Veranda und schloss die Tür hinter sich. Ein perlweißer Vollmond hing über den fernen Bergen und warf sein helles Licht über die Ranch. Die Felder wirkten wie Flicken aus nachtblauem Samt.
    Der Mond beschien auch den Mann, der sein Pferd ohne Sattel und Zaumzeug ritt.
    Jetzt verlor sie den Verstand; nach all den Jahren schnappte sie einfach über.
    Sie ging zum Geländer der Veranda und kümmerte sich nicht darum, ob sie verrückt wurde. Im Grunde genoss sie die Wahnvorstellung. Von hier aus sah sie nur sein weißes T-Shirt, das wie im Schwarzlicht leuchtete. Renegade war in der Dunkelheit kaum zu sehen, aber sie bemerkte, dass er sich so fließend und geschmeidig bewegte wie in seiner Zeit als Champion. Noch ein Zeichen für ihren Wahnsinn: Renegade war wieder gesund. Natürlich.
    Sie wollte zwar bleiben, wo sie war, doch wie an einem Abend vor sechzehn Jahren konnte sie der Versuchung einfach nicht widerstehen. Als sie über die Veranda ging, knarrte das Holz unter ihren Schritten.
    Sie lief die sanft geneigte Wiese hinunter und achtete darauf, nicht im taunassen Gras auszurutschen, bis sie am Zaun der Koppel ankam.
    Sie glitten an ihr vorbei, ritten einen Kreis in der Koppel, und dann waren sie auf einmal vor ihr und hielten an. Renegades Schnauben schien in einem Umkreis von Meilen der einzige Laut zu sein; selbst der Kanal schien vor lauter Erwartung ganz still zu werden.
    »Vivi«, sagte Dallas, und als sie seine Stimme hörte, musste sie sich am Zaun festklammern, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.
    »Du bist nicht wirklich hier …«
    Sie verstummte. Sprechen erforderte mehr Substanz, als sie gegenwärtig zu haben schien; sie fühlte sich, als würde sie die Worte irgendwie aus Regionen holen, die zu schwinden drohten.
    »Doch, das bin ich.«
    Er ließ sich von Renegade gleiten und nahm sich die Zeit, ihm die Ohren zu kraulen und über die Nüstern zu streichen. Dann kam er langsam auf Vivi zu, duckte sich unter dem Zaun hindurch und stellte sich vor sie.
    Zum ersten Mal seit Jahren war keine schmutzige Scheibe zwischen ihnen und niemand, der ihre Bewegungen beobachtete. Dallas
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