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Das Geheimnis der Salzschwestern

Das Geheimnis der Salzschwestern

Titel: Das Geheimnis der Salzschwestern
Autoren: Tiffany Baker
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vorstellen, den neu erworbenen Fluss irgendwann gegen schmerzliche Härte eintauschen zu müssen, aber genau darum ging es ja bei der Salzproduktion. Diejenigen, deren Herzen der Aufgabe gewachsen waren, würden das irgendwann begreifen. Sie akzeptierten, dass das Erzeugnis ihrer blasenübersäten Hände Arbeit, das Salz, das sie mit krummem Rücken mühsam gewonnen hatten, von Claire einfach für einen Neuankömmling in einer Schüssel aufgelöst wurde. Und sie hielten das nicht für grausam, sondern erkannten darin die poetische Verkörperung des Laufs der Dinge.
    Claires zweite Lektion bestand darin, die Schüler mit zu den Gräbern am Rande der Marsch zu nehmen. Jordy schien mit seiner Ankunft auf dem Gut den Fluch gegen Knaben gebannt zu haben. Vielleicht deshalb, weil er zwar von der Seele her ein Gilly war, nicht aber vom Blute. Oder vielleicht hatte der Fluch seine Schuldigkeit auch einfach getan. Ganz egal woran es liegen mochte, Claire war von unendlicher Dankbarkeit erfüllt. Nun sah sie ihren Schülern einfach nur zu. Wer die Gräber katalogisierte und nach Datum ordnete, würde zwar gut klarkommen, aber nie etwas wirklich Erstaunliches produzieren. Diejenigen, die umherliefen und mit den Fingern über die Grabsteine fuhren, waren zwar vielversprechend, aber auch an diesen Kandidaten hatte Claire wenig Interesse. Sie wartete auf diejenigen, die innehielten, die Hände in den Taschen vergruben und das Haupt senkten, weil sie begriffen, dass Zeit in einer Salzmarsch nichts zu bedeuten hatte. Diese Teilnehmer schickte Claire hinaus, um die ersten Kristalle der Saison zu ernten, denn denen brauchte sie nichts mehr beizubringen.
    Wenn die Besucher wieder gingen, fuhren die meisten von ihnen mit aufgesprungenen Lippen, schmerzenden Schultern und von der Sole schrumpeligen Händen durch die Stadt hindurch und direkt davon. Sie kamen am Leuchtturmrestaurant vorbei, ließen den Blätterbaldachin des Birnbaums (der immer noch dieselben verkümmerten Früchte trug) links liegen und beachteten Plover Hill und das Turnerhaus überhaupt nicht. Das konnte Claire zwar verstehen, es ging ihr aber trotzdem gegen den Strich.
    Sie wusste natürlich, dass die Leute diese kleine Landzunge nicht besuchten, um ihre Geschichte zu ergründen, aber sie wünschte sich dennoch, sie würden sich einmal richtig umsehen. Dann hätten sie vielleicht eine Lektion über Salz gelernt, die sie noch nicht kannten. Aber andererseits hatte Claire ja auch beschlossen, ihr ganzes Leben dieser Substanz zu widmen, die ihr an Lippen und Zunge klebte. Nur ihre Geschichte wusste sie zu erzählen, sie war das einzige Erbe, das sie einmal hinterlassen würde, wenn ihre Zeit gekommen war.
    Ethan behauptete gerne, dass man einem Menschen nur in die Augen zu blicken brauchte, um ihm direkt ins Herz zu sehen, aber Claire war da anderer Meinung. »Hör gar nicht auf deinen Stiefvater. Gib den Leuten einfach nur eine Prise Salz«, flüsterte sie Jordy zu, »und sie werden dir verraten, was du wissen musst.«
    Jo und Claire versuchten immer, Jordy alles zu vermitteln, was er wissen musste. Sie unterwiesen ihn gut in Prospects Geschichte, erzählten ihm vor allem viel über das Turner-Haus und seinen letzten Bewohner. So wie sie in der Marsch die Becken herrichteten, bevor sie die Anlage fluteten, bereiteten sie auch hier den Nährboden für die nächste Generation vor. Claire und Jo hatten auf dem Gut endlich all den alten Kram und Schrott weggeräumt und waren dabei auf ein paar wirklich aufschlussreiche alte Briefe und Tagebücher gestoßen. Die hatten sie gesammelt, ein Schleifenband darum geschlungen und sie für Jordys achtzehnten Geburtstag beiseitegelegt, der damals noch in weiter Ferne gelegen hatte. Jordy hatte erst krabbeln, dann laufen und schließlich sprechen gelernt, und mit jeder neuen Entwicklungsstufe hatte Claire mit bangem Herzen an den Tag gedacht, an dem sie ihm die Wahrheit beichten musste.
    »Du musste ihm doch nicht alles erzählen«, meinte Ethan, was Claire schockierte. Er war zwar ihr rechtmäßig angetrauter Ehemann, aber trotzdem sah sie in ihm manchmal noch den Priester und wunderte sich über solch pragmatische Ratschläge aus seinem Munde.
    Claire schüttelte den Kopf. »Doch«, widersprach sie. »Muss ich. Er hat die ganze Wahrheit verdient. Außerdem wird er sonst nie richtig mir gehören.«
    Ethan küsste sie auf die Wange. »Eigentlich gehört doch nichts wirklich uns«, sinnierte er und griff dann nach seinem Strickzeug.
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