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Das Geheimnis der Rosenkreuzerin

Das Geheimnis der Rosenkreuzerin

Titel: Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
Autoren: Marie Klausen
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hatte sich in wenigen Stunden für immer vollkommen verwandelt, als hätten sich die Pforten der Hölle aufgetan und ihre ganze Bosheit über die Stadt und ihre Bewohner ergossen. Sie wäre lieber tot als lebendig, lieber bei ihren Eltern, wo immer sie jetzt auch sein mochten, als in diesem dreckigen, stinkenden und blutigen Leben. Was der Mönch für eine Rettung hielt, empfand sie als Qual. Hätte nicht auch sie auf dem Rücken des Rauches in den Himmel steigen können?
    Die Spannung, die den Mönch beherrschte, ließ auch innerhalb der Klostermauern nicht nach. Seine Wangen glühten. Die Gefahr saß ihnen immer noch im Nacken. Johannes schickte eilig einen Boten zu Mechthild von Helfta, der Oberin der Beginen. Dann lotste er die Kin der, möglichst ohne Aufsehen zu erregen, in sein Arbeits zimmer hinter dem Scriptorium. Je weniger Mönche von ihrem Aufenthalt wussten, umso besser.
    Sie schaute sich nicht um, wozu auch. Ihr war, als ob das, was gerade geschah, nicht ihr widerfuhr. In diesem Moment war sie sich vollkommen fremd. Johannes setzte ihren Bruder auf die Dielen ab. Myriams Blick fiel auf den schmächtigen Knaben. Starr wie ein Eiszapfen, der bei der geringsten Berührung zerbrechen könnte, stand er inmitten des Arbeitszimmers. David so hilflos und fremd, so entrückt zu sehen, löste eine Welle des Mitleids bei ihr aus. Sie schämte sich, nur an sich gedacht zu haben. Ihr kleiner Bruder brauchte sie doch. Jetzt wusste Myriam, warum sie der Herr verschont hatte. Ihre Aufgabe bestand darin, sich jetzt anstelle der Eltern um David zu kümmern. Mit halbem Ohr vernahm sie, wie Johannes einen anderen Dominikaner, den er gerufen hatte und Bruder Odo nannte, bat, den Kindern unauffällig Ordenskleidung zu besorgen. Myriam nahm David zärtlich in die Arme und drückte ihn fest an sich, um ihn mit ihrem Körper aufzuwärmen. Sie spürte, dass seine Kälte aus dem Herzen kam.
    »Ruhig, David, ruhig.«
    »Ich will zur Mame!«
    »Die Mame ist auf einer großen Reise.«
    »Dann zum Taten«, sagte er trotzig, sich die Tränen aus den Augen wischend. Ein Wunder, dass sie nicht wie kleine Seen gefroren waren, dachte sie.
    »Ach, mein David, glaubst du denn, dass der Tate die Mame allein reisen lässt?«
    »Und was ist mit mir?«
    »Für dich bin ich da. Die Mame und der Tate haben mir aufgetragen, mich um dich zu kümmern, solange sie unterwegs sind.«
    »Aber wie lange wird das sein?«
    »Solange sie eben brauchen. Es ist noch nicht einmal gewiss, ob wir uns hier oder woanders wiedersehen.«
    Der Junge dachte nach. Wenigstens kam wieder Leben in ihn. Doch etwas erfüllte den Siebenjährigen mit Skepsis. Er biss sich auf die Lippen. »Aber die Mame hat doch vor dem Haus gelegen?«
    Hilfesuchend schaute Myriam zu dem Dominikaner. Der beugte sich nun zu den Kindern. »Weißt du, kleiner Mann, es gibt auch Reisen, die man ohne den Körper macht.«
    »Reisen ohne Körper?«
    »Nur die Seele reist.«
    »Wie Engel?«
    »Ja, wie Engel.« So etwas wie ein Lächeln erhellte kurz die Augen des Jungen. Es war stolz. »Die Mame und der Tate reisen wie Engel?«
    »Ja, sie reisen wie Engel. Willst du das lernen, mein Junge, zu reisen wie die Engel?«
    »Geht das? Kann ich das wirklich lernen?«
    »Ich bringe es dir bei. Ich schwöre es bei Gott.« Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach sie.
    »Herein«, rief Johannes, und Bruder Odo kehrte mit einem Bündel Kleider auf dem Arm zurück. »Das habe ich von den kleinen Novizen geholt.«
    »Danke, Bruder Odo, du kannst gehen.« Johannes leg te die Sachen auf seinen Arbeitstisch. »Trennt euch von allem, was ihr tragt. Wir werden es verbrennen müssen. Und zieht das da an.« Johannes zeigte auf den Kleiderhaufen, dann wandte er sich ab.
    Myriam half ihrem Bruder, die Ordenstracht der Dominikaner anzulegen. Anschließend musterte sie ihn mit gemischten Gefühlen. Niemand würde jetzt mehr in dem kleinen Dominikanernovizen den Sohn des Rabbiners ausmachen können. Sosehr es sie auch erleichterte, sosehr tat es ihr weh. Nachdem sie auch sich selbst umgekleidet hatte, wandte sie sich an den Mönch. »Dürfen wir das Habit überhaupt tragen? Wir sind doch Juden.«
    »Anders kann ich euch nicht retten.«
    »Verleugnen wir nicht Gott dadurch?«
    »Was liegt daran, ob ihr Juden oder Christen seid, beten wir nicht alle zu demselben Gott, zu dem Allerhöchsten, den vollkommen zu benennen uns nie gelingen wird? Um zum Allerhöchsten, den man auch den Überguten nennt, zu kommen, müssen wir alle
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