Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Rose

Das Geheimnis der Rose

Titel: Das Geheimnis der Rose
Autoren: Lisa Kleypas
Vom Netzwerk:
solche Wahl getroffen hatten!« Sie sah Julia leicht bedauernd an, als sei es sicher, dass Julia eines Tages vor dem gleichen schmerzlichen Dilemma stehen würde. Julia wünschte, sie hätte Mrs. Florence die Wahrheit erzählen können … dass sie niemals zwischen Liebe und Beruf würde wählen müssen … dass sie tatsächlich bereits verheiratet war und ihr Mann überhaupt kein Hindernis darstellte.
    Leise ging Julia zum Schlafzimmer ihrer Mutter, das im dunklen Ostflügel von Hargate Hall lag. Das prächtige gotische Anwesen war dunkel und wie für die Ewigkeit gebaut mit seinen hohen Kaminen und den langen schmalen Fenstern. Es lag inmitten der kalkhaltigen Berge von Buckinghamshire und war mit der anderthalb Kilometer entfernten Marktstadt durch ausgefahrene alte Wege verbunden, die sich seit Jahrzehnten nicht verändert hatten. Hargate Hall war dunkel und still, mit schweren Mahagonimöbeln und Decken mit Fächergewölben. Sich in dem Haus zu befinden, das sie zwei Jahre zuvor verlassen hatte, verursachte Julia ein unbehagliches, beklemmendes Gefühl. Energisch erklomm sie eine der langen Treppen, die in den ersten Stock führten, und fürchtete schon halb, jeden Moment die schneidende Stimme ihres Vaters zu hören, der ihr befahl, sie möge verschwinden.
    Abgesehen von scheuen Gesten der Begrüßung von Seiten einiger weniger Diener, die sie seit ihrer Kindheit kannte, wagte es niemand, mit ihr zu sprechen. Jedermann in Hargate Hall wusste, dass sie kein willkommener Besucher war. Ihr Vater hatte ihr verboten, auch nur einen Fuß auf den Besitz zu setzen, und doch würde niemand sie daran hindern, ihre kränkelnde Mutter Eva zu besuchen.
    Wegen der abgestandenen Luft in Evas Schlafzimmer zog Julia die Nase kraus, trat zu den Vorhängen, zog sie zurück und öffnete ein Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Unter der Bettdecke regte sich etwas, und dann erklang Evas schwache Stimme.
    »Wer ist da?«
    »Deine verlorene Tochter«, antwortete Julia leichthin und ging zum Bett, um sich über ihre Mutter zu beugen und sie auf die blasse Stirn zu küssen.
    Eva blinzelte und versuchte sich aufzusetzen. Ihr Gesicht war starr vor Bestürzung. Sie war eine schlanke kleine Frau mit silberdurchzogenem aschblondem Haar und großen braunen Augen. Sie schien in den vergangenen beiden Jahren stark gealtert zu sein. In ihre farblose Haut hatten sich kleine Linien gezogen, und die Knochen in ihrem Gesicht traten stärker als früher hervor. »Julia, du solltest nicht hier sein. Es ist gefährlich!«
    »Es ist schon gut«, sagte Julia leise. »Du hast mir doch geschrieben, dass Vater heute fort ist. Erinnerst du dich nicht?«
    »Oh, doch.« Die Mutter rieb sich besorgt die Stirn. »Ich vergesse in letzter Zeit so schnell.« Sie seufzte und ließ die Schultern wieder auf das Kissen sinken. »Ich bin krank, Julia …«
    »Ja, ich weiß.« Julia presste die Lippen zusammen, als sie auf ihre Mutter hinabsah, die immer schmal gewesen war. jetzt allerdings wirkte sie zerbrechlich wie ein Vögelchen. »Du solltest nicht in diesem dunklen Raum eingeschlossen sein, Mama. Du brauchst Licht und frische Luft und solltest draußen spazieren gehen …«
    »Du darfst nicht lange bleiben«, murmelte die Mutter schwach. »Wenn dein Vater plötzlich kommt …«
    »Dann wirft er mich hinaus«, beendete Julia den Satz und verzog spöttisch den Mund. »Keine Sorge, Mama. Ich habe keine Angst vor ihm. Nichts, was er sagt oder tut, könnte mir noch etwas ausmachen.« Ihr Gesicht wurde weicher, als sie den Kummer ihrer Mutter sah, und sie setzte sich vorsichtig auf die Kante des Bettes. Dann nahm sie eine von Evas dünnen, kühlen Händen und drückte sie behutsam.
    »Ich habe mir ein eigenes Leben aufgebaut. Ich bin jetzt Schauspielerin, und zwar eine einigermaßen gute.« Sie musste lächeln, als sie den Gesichtsausdruck ihrer Mutter sah. »Schauspielerin, keine Dirne … obwohl ich zugeben muss, dass die meisten Leute anscheinend den Unterschied nicht begreifen. In dieser Saison werde ich am Capital Theatre bei Logan Scott persönlich arbeiten. Ich werde ganz gut verdienen, meine eigene Kutsche haben, ein Haus … Und ich habe mir einen neuen Namen zugelegt. Jessica Wentworth. Gefällt er dir?«
    Eva schüttelte den Kopf. »Dafür bist du nicht geboren«, sagte sie mit trockenen Lippen. »Das bist du nicht.«
    »Wer bin ich denn, Mama?« fragte Julia leise, obwohl sie die Antwort bereits kannte. Sie fühlte sich plötzlich unglücklich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher