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Das Geheimnis der Haarnadel

Das Geheimnis der Haarnadel

Titel: Das Geheimnis der Haarnadel
Autoren: Henry Fitzgerald Heard
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worin die plötzliche Provokation bestand – der letzte Beweis, daß wir es hier mit einem Selbstmord zu tun haben.«
    Doch bevor er seinen Zettel vorlesen oder ich hinzutreten und einen Blick auf die Vorlage werfen konnte, die so unerwartet zum Auslöser eines felo-de-se geworden war, erklang Mr. M.s Stimme im besten Vortragsrednerton: »Sie nahm den Dolch und stieß ihn sich in die Seite, zog ihn heraus, reichte ihn ihrem zögernden Gatten, und sagte gleichmütig, als sie niedersank: >Es schmerzt nicht, Petus!< Eine recht freie Übersetzung, aber sie wird genügen.«
    Und nachdem er zunächst einmal sich selbst dies Kompliment gemacht hatte, wandte er sich großmütig an seinen Kollegen: »Ja, das ist scharfsinnig gefolgert, und es ist das Herzstück in Ihrer Beweiskette. Sankey, der düsteren Selbstmordgedanken nachhängt, liest, wie vornehm es ist zu sterben, und dazu noch, wie einfach in diesem klassischen Falle der Tod tatsächlich ist, wenn man sich selbst ersticht! >So hält jeder Sklave in eigenen Händen die Möglichkeit, seiner Gefangenschaft ein Ende zu setzen.« Und um noch eine weitere Wendung von jenem Dichter zu übernehmen, der Martial um so vieles überlegen ist – der Sklave kann es >mit blanker Nadel« tun.«
    Wenn unser Führer ein wenig ungeduldig geworden war, als Mr. M. es im Schmieden schöner Sätze auf einen Wettstreit mit ihm angelegt hatte, so war nun alles vergessen angesichts dieser offenen Anerkennung und, wie es schien, Überzeugung. Er errötete beinahe vor Freude und zeigte, daß er freundschaftlich gestimmt war, indem er sich nur um so mehr bemühte, Beweis auf Beweis zu häufen; obwohl ich längst vollauf überzeugt und in jeglicher Hinsicht zufrieden war, daß wir es hier nicht mit einem Mord zu tun hatten, sondern einfach mit einem Menschen, der offenbar nicht eben sympathisch gewesen war und der selbst für seinen Abgang von der Bühne gesorgt hatte.
    Doch Mr. M. schien unersättlich und war begeistert, als der Inspektor fortfuhr: »Nun, Sir, das bringt uns mit Fug’ und Recht zur blanken Nadel selbst, wie versprochen. Wollen Sie mir nun gestatten, sie gemeinsam mit Ihnen zu betrachten?«
    Und tatsächlich zog Mr. M. die kleine Schachtel aus seiner Tasche hervor. Sie öffneten sie, und diesmal beugte ich mich vor, um über ihre Schultern einen Blick auf die Reliquie werfen zu können. Da lag es nun, ein erbärmliches Stück Metall.
    »Die Fingerabdrücke?« erkundigte sich Mr. M.
    »Sind die von Sankey«, erwiderte sein Gegenüber, »und nicht die Spur von einem anderen Abruck! Wie hätte ihn also jemand anderes erstechen können? Der Mörder hätte ihn doch nicht fassen und ihm die Hand zum Stoße führen können!«
    »Wissen Sie, was das hier ist?« Mr. Mycroft war offenbar fest entschlossen, weiterhin sein Wissen anzubringen, obwohl die Beweisaufnahme abgeschlossen war – wie ein automatischer Leuchtturm, der weiter seine Lichtsignale aussendet, auch wenn sämtliche Schiffe sicher im Hafen sind.
    »Ach, irgendwas Kunsthandwerkliches – Doublee, nehme ich an«, antwortete der andere leichthin.
    »Nein, das ist schon ein echtes Stück, alles in allem. Es ist eine jener extravaganten übergroßen Haarnadeln, die meistens Waffen nachgebildet sind. Diese hier ist die Miniatur einer Hellebarde mit langer Klinge. Solche Nadeln dienten den Damen der Renaissance dazu, ihre Hochfrisuren zu verzieren und festzustecken. Der Schwerpunkt liegt in der Klinge, damit sie nicht aus den Locken herausfällt. Unser Exemplar besteht, wie die meisten, aus Silber. Das erklärt auch die Farbe. Angelaufenes oder patiniertes Silber ist nämlich fast schwarz.«
    Ich war ein wenig beschämt, daß ich etwas als wertloses Talmi abgetan hatte, das sich nicht nur als Waffe entpuppte, mit der vor kurzem ein Mord – wenn auch nur ein Selbstmord – begangen worden war, sondern das auch für sich genommen ein antiquarisches Objekt von einigem Interesse war. Doch nachdem Mr. M. nun seinen Beitrag zum Thema Kuriositäten der Haarmode geliefert hatte, brütete er wieder über dem Sueton – eine Gefahr, der sein Verstand ebenso zu erliegen drohte wie der des Dienstmädchens Jane der Anziehungskraft des Abwegigen. Auf wie seltsame Art, dachte ich, die Gegensätze sich treffen – zu voll der eine Verstand, der andere zu leer; und die Folge war, daß beide sich von allem festhalten und beanspruchen ließen!
    Der Inspektor weckte ihn aus seinen Träumereien mit den Worten: »Ich glaube, wir sollten Jane noch
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