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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk
Autoren: Barbara Vine
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Schauspieler mit Adelstitel spielte den Brutus und Nicola Ross die Calpurnia. Hinterher gingen wir alle auf ein Glas Champagner in Nicolas Garderobe, danach wollten wir sie zum Essen ausführen. Es ging mich ja nichts an, aber ich dachte bei mir, wie viel schöner es wäre, wenn sie noch Ivors Freundin wäre und er sich Gedanken über ein Zusammenleben mit dieser Frau machen würde. Kurz darauf zeigte sich der junge Schwarze, der den Casca gespielt hatte, an der Tür, und Nicola bat ihn herein. Sie stellte ihn als Lloyd Freeman vor, und das Gespräch kam sehr bald auf Schwarze, die eigentlich für Weiße geschriebene Rollen spielten. Warum sollten die Zuschauer, wenn sie Frauen mittleren Alters die Julia abnahmen und schwergewichtigen Diven die Mimi, nicht einen schwarzen Mark Anton akzeptieren? Lloyd sagte, er habe Glück gehabt, diese Rolle zu ergattern, er habe sie aber nur bekommen, weil sie sehr klein sei. Ob wir ihn uns zum Beispiel in einer Pinero-Komödie vorstellen könnten, fragte er.
    Wir sprachen darüber, dass in Romanen bis zum Zweiten Weltkrieg und darüber hinaus Schwarze oder Inder immer als komisch oder böse hingestellt wurden und als einzige ernste Rolle für einen Schwarzen Othello zur Verfügung stand, und ich überlegte gerade, wovon Lloyd wohl lebte, als er sagte, er habe zusammen mit einem Freund ein Mietwagen-Unternehmen und sei auch selbst als Fahrer unterwegs. Ivor horchte auf – Iris und ich erklärten es uns später damit, dass er wahrscheinlich an Lloyds Minicabs interessiert war, um Hebe nach ihren Rendezvous nach Hause bringen zu lassen – und Lloyd gab ihm seine Karte. Danach ging Lloyd nach Hause, und wir gingen zum Essen.
    Ich habe ihn nie wiedergesehen und bis zu dem Unfall auch nie mehr an ihn gedacht. Auch von ihm waren Fotos in den Zeitungen, wenn auch nicht so viele wie von Hebe. Er war ein guter Schauspieler, und wenn ich jetzt im West End ein Stück mit schwarzen Schauspielern sehe, muss ich an ihn denken. Denn heute ist üblich, was er damals für unmöglich hielt. Letztes Jahr habe ich einen schwarzen Heinrich den Fünften und letzte Woche einen schwarzen Heinrich den Sechsten erlebt und denke mir, dass ich Lloyd durchaus wieder in Julius Cäsar hätte sehen können, aber diesmal als Cassius. Dazu wird es nicht mehr kommen. Sein Tod war zwar nicht Ivors Schuld, aber ohne Ivor wäre Lloyd heute noch am Leben. Er war zweiunddreißig, muss also noch ein Jahr altern, wenn er in den Himmel kommt.
    Den zweiten Mann, Dermot Lynch, habe ich nie kennengelernt, aber einmal, in Ivors Wohnung, seine Stimme gehört. Er war gekommen, um Ivors Wagen zum Kundendienst zu bringen. »Ich werf dann die Schlüssel durch den Schlitz, wie immer, Chef«, hörte ich ihn sagen und überlegte, ob es Ivor, der Wert auf die Anrede »Sir« legte, nicht gegen den Strich ging, wie ein Inspektor in einem Fernsehkrimi angeredet zu werden. Sehr kann er sich nicht daran gestört haben, denn er heuerte Dermot Lynch als zweiten Mann für das Geburtstagsgeschenk an.
    »Das Geburtstagsgeschenk« – so nannten es Iris und ich später immer, statt von dem Unfall zu sprechen. Damals, im Frühjahr 1990, hatten wir natürlich keine Ahnung von Ivors Plänen, wir wussten nur, dass er an einem Freitag um den 17. Mai herum unser Haus haben wollte, und etwas später kam heraus, dass der 17. Mai Hebes Geburtstag war. Er hatte ihr schon ein Geschenk gekauft, eine Perlenkette, die er uns in ungewohnter Offenherzigkeit zeigte.
    »Wunderschön«, sagte Iris. »Das Dumme bei Perlen ist, dass nur ein Fachmann sagen kann, ob sie Tausende wert sind oder aus einem Kaufhaus kommen.«
    »Das ist ja gerade der Witz«, widersprach Ivor. »Sie kann die Perlen tragen, ohne dass Furnal sagen könnte, ob sie sich die Kette selbst gekauft hat oder nicht.«
     
    Ivor nahm seine Pflichten als Volksvertreter ernst. Noch als Minister fuhr er an den meisten Wochenenden nach Morningford zu seiner Samstagvormittagssprechstunde. Die Wochenenden in London waren echte Erholung für ihn, die in Norfolk nicht. Besonders im Sommer musste er sich ständig bei dem einen oder anderen Dorffest oder bunten Nachmittag blicken lassen und abends an einem Essen teilnehmen und ein paar Worte sagen. Es gab immer irgendeine Veranstaltung, bei der er als Schirmherr gefragt war, oder ein Anliegen, das die Wähler über ihn an den zuständigen Minister herantragen wollten. Als das Geburtstagsgeschenk anstand, ging es um die drohende Schließung eines kleinen
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