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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk
Autoren: Barbara Vine
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örtlichen Krankenhauses. Ivor hatte an allen Sitzungen des »Hände weg von unserem Krankenhaus«-Komitees teilgenommen, weigerte sich aber, bei dem Marsch durch Morningford mit abschließender Demo auf dem Marktplatz mitzumachen. Schließlich wollte die konservative Regierung die Schließung des Krankenhauses durchsetzen, und er war deren Fraktionsführer. Er wollte um keinen Preis auf der falschen Seite im Rampenlicht stehen. In diesen Dingen reagierte er immer übervorsichtig, ja fast neurotisch.
    Wenn er seinen Wahlkreis besuchte, wohnte er bei seinen Eltern auf Ramburgh House, das diese ihm zugedacht hatten. Wenn er heiratete, hatten sie gesagt, würden sie es ihm überlassen und in das hübsche, aber sehr viel kleinere Verwalterhaus am östlichen Ende des Anwesens ziehen. So wie die Dinge lagen, dachte ich mir, war es noch eine Weile hin, ans Heiraten dachte Ivor nicht so schnell.
    Ramburgh House war ein ziemlich großes Gebäude im Queen-Anne-Stil, eines jener Herrenhäuser, die – von der Hauptstraße nur durch einen schmalen Rasen- und Pflasterstreifen getrennt – mitten im Dorf stehen und denen man sich durch einen Torbogen in einer hohen Backsteinmauer nähert. Das Anwesen selbst – Garten, Park, ein paar Wiesen und Wald – lag hinter dem Herrenhaus, und das Verwaltergebäude stand etwa achthundert Meter weiter weg am Ende der sogenannten East Avenue, die beidseits von Linden gesäumt war. Ivors altmodische (und ein wenig lächerliche) Auffassung von der dem Landadel gebührenden Achtung zeigt sich daran, dass er es »den Witwensitz« nannte.
    Das Anwesen ist nicht weiter bemerkenswert – flaches Land, aufgelockert nur durch das Flüsschen, das zwischen Erlen dahinfließt. Von Pevners Standardwerk über Gebäude in Norfolk wird es nur mit einem kurzen Absatz bedacht. Doch Ivor hing an Ramburgh House, und während sein Vater den traditionellen Gutsherrn gab, gefiel er sich in der Rolle des Nachfolgers, lud den Pfarrer und seine Frau zum Essen ein und schaute bei den Einheimischen vorbei, um sich ihre Klagen über hohe Mieten und nötige Reparaturen anzuhören. Inzwischen sind die meisten Einheimischen tot und ihre Häuser Feriendomizile für Londoner.
    Unser Cottage war zwölf Kilometer weiter weg, aber noch in Ivors Wahlkreis. Wir wählten in Hampstead, hatten aber das Recht, bei Kommunalwahlen auch in Morningford unsere Stimme abzugeben. Zu den wenigsten Veranstaltungen, von denen Ivor uns erzählte, konnten wir uns freimachen, immerhin aber schafften wir es zum Aalessen in Morningford, einem jährlichen Fest im Rathaus, dessen Ursprünge bis in graue Vorzeit zurückreichen. Früher waren dabei nur einheimische Aale verzehrt worden, die aber waren im Lauf der Jahre knapp geworden, und man munkelte, die Hälfte von denen, die im April 1990 serviert wurden, stammte aus Thailand. Ich weiß nicht, ob es in Thailand Aale gibt und wenn ja, ob sie von dort importiert werden, jedenfalls ging die Geschichte in jenem Jahr von Tisch zu Tisch. Iris und ich hatten kommen können, weil das Fest mittags stattfand, so dass wir Nadine mitnahmen.
    Ivor hielt eine Rede, eine sehr gute Rede, fand ich, mit zündenden Aalwitzen und Geschichten über die glorreiche Vergangenheit von Morningford und seine noch strahlendere Zukunft – wobei kein Wort über die Schließung des Krankenhauses fiel, aber ziemlich viel von Wohltaten die Rede war, die das Städtchen der derzeitigen Regierung verdankte. Trotzdem war ich nicht böse, als Nadine erst anfing zu greinen und dann zu schreien und wir gehen mussten. Ich hörte später, dass Ivor sich etlichen heiklen Fragen hatte stellen müssen, von denen die peinlichste war, wie lange Margaret Thatcher sich noch als Premierministerin würde halten können. Offenbar zog er sich aus der Affäre, indem er sie mit Lob überhäufte.
    Abends hatte er ausnahmsweise keine Verpflichtungen und besuchte uns in Monks Cravery. Iris fragte nach Hebe, und er sagte, es gehe ihr gut und er habe ihr schon von den Perlen erzählt. Mit dieser Frage, wie es dem Gesprächspartner oder einem oder einer Nahestehenden geht, verhält es sich sonderbar. Wir stellen sie ständig, heute noch mehr als vor siebzehn Jahren. Dabei interessiert uns der Gesundheitszustand des oder der Befragten nicht die Spur, und nichts ärgert uns mehr, als zu hören, man sei beim Aufwachen ein bisschen angeschlagen gewesen, habe sich aber jetzt bis auf leichte Kopfschmerzen wieder berappelt. Nein, wir erwarten brandheiße
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