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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen
Autoren: Jo Nesbø
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hatte man eine gute Aussicht auf die östlichen Viertel der Innenstadt. Das Gebäude, ganz aus Glas und Stahl erbaut, wurde seit 1978 genutzt. Hier war nichts schief, sondern alles bis in den letzten Winkel korrekt, wofür die Architekten Telje-Torp-Aasen eine Auszeichnung erhalten hatten.
    Der Fernmeldetechniker, der in den beiden sieben und neun Stockwerke hohen Büroflügeln die Kabel verlegt hatte, war vom Gerüst gestürzt, hatte sich das Rückgrat gebrochen und bekam eine Berufsunfähigkeitsrente –und eine Standpauke von seinem Vater.
    » Seit sieben Generationen sind wir jetzt Maurer, sind zw i schen Himmel und Erde balanciert, haben der Schwerkraft getrotzt, bis sie uns zu Boden riss. Mein Großvater hat versucht, diesem Fluch zu entgehen, doch er verfolgte ihn über die Nordsee bis hierher. Deshalb habe ich bei deiner Geburt geschworen, dass du nicht zu diesem Schicksal verdammt sein solltest. Und ich dachte, ich hätte es geschafft. Telefontechniker. Was zum Teufel hat ein Fernmeldetechniker sechs Meter über dem Boden verloren? «
    Durch das Kupfer ebenjener vom Sohn verlegten Leitungen kam an diesem Tag das Signal von der Notrufzentrale. Es schoss durch die Etagendecken, die aus Industriebeton gegossen waren, bis hinauf in die sechste Etage, in das Büro von Bjarne Møller, dem Leiter des Dezernats für Gewaltverbrechen. Møller grübelte gerade darüber nach, ob er sich auf die bevorstehenden Famil i enferien in der Hütte in Os vor den Toren Bergens freuen oder ob ihm davor grauen sollte. Os im Juli bedeutete mit großer Wahrscheinlichkeit Scheißwetter. Dabei hatte Bjarne Møller gar nichts dagegen, die für Oslo angekündigte Hitzewelle gegen ein wenig Sprühregen einzutauschen. Aber zwei höchst lebhafte kleine Jungen bei Dauerregen ohne andere Hilfsmittel als ein Kartenspiel bei Laune zu halten, dem überdies der Herz-König fehlte, war wirklich eine Herausforderung.
    Bjarne Møller streckte die langen Beine aus und kratzte sich hinter dem Ohr, während er sich auf die Nachricht konzentrierte. » Wie haben die das entdeckt? «, fragte er.
    » Es hat getropft, beim Mieter drunter «, antwortete die Stimme aus der Notrufzentrale. » Der Hausmeister und ein Nachbar haben geklingelt, aber es hat keiner geantwortet. Da die Tür unverschlossen war, sind sie schließlich hineingegangen. «
    » In Ordnung. Ich schicke zwei meiner Leute. « Møller legte auf, seufzte und fuhr mit einem Finger die Liste der Diensth a benden entlang, die unter einer Plastikhülle auf seinem Schreib tisch lag.
    Das halbe Dezernat war verwaist. Wie jedes Jahr in den So m merferien. Was freilich nicht bedeutete, dass die Bewohner Oslos jetzt in Lebensgefahr schwebten, denn auch die Verbr e cher der Stadt schienen etwas von Sommerferien zu halten. Jedenfalls war der markante Rückgang der Straftaten, die in den Zuständigkeitsbereich des Dezernats für Gewaltverbrechen fielen, anders kaum zu erklären.
    Møllers Finger stoppte unter dem Namen Beate Lønn. Er wählte die Nummer der Kriminaltechnik in der Kjølberg gata. Niemand hob ab. Er wartete, bis der Anruf an die Zentrale weitergeleitet wurde.
    » Beate Lønn ist im Labor «, sagte eine helle Stimme.
    » Hier ist Møller vom Morddezernat. Holen Sie sie bitte. «
    Møller wartete.
    Es war Karl Weher gewesen, der erst kürzlich pensionierte Leiter der Kriminaltechnik, der Beate Lønn vom Morddezernat zur Kriminaltechnik hatte versetzen lassen. Møller sah darin einen neuerlichen Beweis für die Theorie der Neodarwinisten, dass der einzige Antrieb des Individuums darin bestand, die eigenen Gene zu vererben. Und Weber schien der Meinung zu sein, dass Beate Lønn eine ganze Menge Kriminaltechnikergene hatte. Auf den ersten Blick schienen Karl Weber und Beate Lønn sehr verschieden. Weber war mürrisch und reizbar, Lønn eine stille, graue Maus, die, als sie frisch von der Polizeischule gekommen war, schon rot wurde, wenn man sie bloß ansprach. Aber ihr Polizeiinstinkt war gleich stark ausgeprägt. Sie gehö r ten zu dem Typ passionierter Ermittler, der, wenn er erst Beute gewittert hat, alles ausblenden und sich einzig und allein auf eine Spur konzentrieren kann, ein Indiz, eine Videoaufzeic h nung, eine vage Zeugenaussage, bis schließlich alles einen Sinn ergibt. Böse Zungen behaupteten, Weber und Lønn gehörten ins Labor und nicht unter Menschen, weil die Menschenkenntnis eines Ermittlers schließlich wichtiger als ein Fußabdruck oder die Faser einer Jacke sei.
    Weber und
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