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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium
Autoren: Viktor Pelewin
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der Bildschirm schwarz. Dann tauchte ein Lichtfleckchen auf, das sich allmählich zu einer Türöffnung vergrößerte. Hera kam wieder ins Blickfeld. Dem Anschein nach betrübt, mit gesenktem Kopf, lehnte sie an einer Wand. Sie glich jetzt einem zarten Bäumchen, einem Weidenschößling vielleicht, der sich Mühe gab, am Ufer eines alten Flusses anzuwachsen. Baum des Lebens, der noch nicht weiß, dass er ein Baum des Leben ist. Oder es schon weiß, aber ... Mitra war stehen geblieben, und ich spürte, dass der Anblick ihm genauso naheging wie mir.
    Dann verschwand Hera wieder.
    Mitra betrat einen neuen Raum. Dort waren Menschen. Doch ehe ich sie näher betrachten konnte, geschah etwas.
    Zacken und Streifen wischten über den Bildschirm, kurz ein Gesicht, verschleiert und mit Sonnenbrille, und auf einmal schien die Kamera gegen die Wand gefahren: Man sah getrocknete Farbkrümel und -bläschen, nichts weiter.
    Ein paar Minuten schaute ich mir das an. Dann vollzog die Kamera einen Schwenk, und ich sah ins grelle Deckenlicht. Die Decke rutschte langsam nach rechts; es war, als würde Mitra irgendwohin geschleift. Ein stählerner Tisch blitzte auf, dahinterstehende Menschen trugen chirurgische Gewänder, sie hantierten mit Metallgegenständen, die eher wie Aztekenwerkzeuge aussahen, nicht wie chirurgisches Gerät.
    Dann fuhr von der Seite her eine weiße Stellwand vor den Chirurgentisch. Doch eine Sekunde zuvor hatte ich noch eine Hand durch das Bild schweben sehen, die einen runden Gegenstand gepackt hielt, in Fußballgröße. Wie sie ihn hielt, war irgendwie sonderbar, es dauerte seine Zeit, bis ich es erfasste: Sie hielt ihn an den Haaren. Die Kugel war bereits wieder verschwunden, als ich begriff, was ich gesehen hatte.
    Es war Mitras abgeschnittener Kopf.
    Lange Zeit blieb das Kameraauge auf die vom unterirdischen Luftzug flatternde Bespannung der Stellwand gerichtet. Manchmal meinte ich Stimmen zu hören und hätte nicht sagen können, woher - aus den Notebooklautsprechern oder aus der Nachbarwohnung, wo laut der Fernseher lief. Mehrmals verfiel ich in einen Dämmerzustand. Ich weiß nicht, wie viel Stunden vergangen waren, als ich merkte, dass die Wirkung des Nervengiftes nachzulassen begann -ich konnte die Finger wieder ein wenig rühren. Nach kurzer Zeit gelang es mir, das Kinn ein paarmal zu heben und zu senken.
    Währenddessen suchten mich viele Gedanken heim. Der interessanteste war, ob es sein konnte, dass Mitra mich gar nicht von der Sprossenwand losgebunden, ich demnach alles seither Geschehene im Verlauf weniger Minuten halluziniert hatte. Diese Vorstellung schockierte mich umso mehr, als sie meinem Körpergefühl entsprach: Ich hing exakt genauso an diesen Sprossen wie seinerzeit, da ich, aus der Ohnmacht erwachend, Brahma vor mir auf dem Sofa sitzen sah ... Aber nein: Das Notebook auf dem Tisch sprach eine andere Sprache. Und wie um die Authentizität meiner Wahrnehmung zu bekräftigen, schob sich jetzt auf dem Bildschirm der weiße Paravent zur Seite.
    Wieder sah ich denselben grell erleuchteten Raum wie zuvor. Aber der Stahltisch und die Chirurgen fehlten nun. Und so ließ sich erkennen, dass es ein normaler Altarraum in Heartland war, allerdings ein neuer - noch ganz leer (von einigem Technikschrott am Fußboden abgesehen), ohne Altartisch. Vor der Nische in der Wand ragte eine monströse medizintechnische Apparatur auf, die von einem gelochten Aluminiumrahmen gehalten wurde. Neben den vielen Geräten stützte dieser Rahmen den mit schneeweißen Binden umwickelten Kopf.
    Die Augen an dem Kopf waren geschlossen. Große Blutergüsse darunter. Ein getrocknetes Blutrinnsal unter der Nase, nur flüchtig abgewischt. Ein weiteres am Mundwinkel. Der Kopf atmete schwer durch zwei in den Nasenflügeln steckende transparente Plastikschläuche, die zu irgendeinem Medizinschrank führten. Sieh an! dachte ich, den Spitzbart haben sie Mitra abrasiert. Noch während ich dies dachte, merkte ich, dass das gar nicht Mitra war.
    Es war Hera.
    Und just in dem Moment, da mir dies bewusst wurde, schlug sie die Augen auf und schaute mich an - besser gesagt, in die Kamera. Von dem geschwollenen Gesicht waren schwerlich Emotionen abzulesen, und dennoch meinte ich einen Ausdruck darin zu gewahren, der zwischen Schreck und Mitleid lag. Schließlich fuhr der bandagierte Kopf zur Seite, geriet aus dem Bild, und alles wurde schwarz.

EPILOG
    Ein Brief, der per Kurier eintrifft, ist immer eine Gnade des Himmels, weil man dafür das
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